Pforzheims’s Vorzeit.
Für Pforzheim und seine Umgebungen.

Du kleiner Ort, wo ich das erste Licht gesogen,
Den ersten Schmerz, die erste Lust empfand;
Sey immerhin unscheinbar, unbekannt,
Mein Herz bleibt ewig doch vor Allen dir gewogen! Wieland.

Nro. 15. Samstag den 11. April 1835.

Pforzheim am Schlusse des 17ten Jahrhunderts.
Zweite Abtheilung.

2. Neue Verwüstungen. Treffen bei Pforzheim. Dritter Brand 1692.

(Fortsetzung.)

Die Bürger waren, ehe noch diese Garnison einrückte, um eine Salva quardi (sauve garde) eingekommen, und mußten deßhalb auch bedeutende Schutz- und Sicherheitsgelder erlegen; aber die Bürger erlangten damit nichts weiter, als daß die Stadt von einem neuen Brande verschont blieb; die Plünderung, die auch dieses Jahr die Stadt Pforzheim traf, war so allgemein und drückend, wie die früheren. Sie geschah im Juli des Jahres. Die starke Garnison, die vielen Truppen in der Gegend hatten fast alle Lebensmittel aufgezehrt; der Feldbau lag bei den unaufhörlichen Truppenmärschen ganz darnieder. Der damalige Stadtrath sagt in einem Berichte: es seyen nicht mehr als neun Pflüge hier, während es früher 70 bis 80 gewesen. Dies verursachte bedeutenden Fruchtmangel, wodurch auch der Preis des Kernens auf die für die damaligen so geldarmen Zeiten höchstbedeutende Summe von 27 fl. stieg. In diese Zeit fällt, was Deimling (im Vorberichte zu seinem Drama: "Die 400 Bürger von Pforzheim, Seite XLII.) und aus ihm Gehres, Seite 255 sagt: "daß sich, da die Bürger während den harten Zeiten nichts
"hatten zahlen können, die herrschaftlichen Forderungen so
"angehäuft, daß die Bürger ihre Aecker für die darauf
"haftenden Kriegssteuern andern abtraten, oder umsonst, oder
"um eine Kleinigkeit hingaben ec." Hier nur einige Beispiele: 9 Morgen Aecker wurden hingegeben als Unterpfand für 24 fl.; 3 Morgen Wiesen im Bruch für 25 fl. Die Waldungen standen ebenso tief im Preise. So wurden 1 ½ Morgen Wald im Weyrich am sogenannten Bürgerwäldchen für 9 fl. 14 kr.; ebendaselbst 6 Morgen Eichen- und Tannenwald für 32 fl. verkauft.*Als Seitenstück stehe hier ein Güterverzeichniß nebst dem Anschlage aus dem Jahr 1610.
Aecker:

7 Morgen im Eisinger Weg, den Morg. zu 12 fl. fl. 84
19 ¼ " im Lechfeld, den Morg. zu 34 fl. " 654
13 " auf der Ispringer Steig, d. Mg. zu 44 ½ fl. " 578 ½
16 ½ " am Buchenbronner Weg d. Mg. zu 31 fl. " 511 ½
25 " auf dem Weiherberg, d. Mg. zu 43 fl. " 1075
Gärten:
2 Morgen 33 Ruthen, des Junker Georgs von Menzingen Garten
(bei der obern Mühle) " 1110

Betrachtet man diese Güterpreise und bedenkt dabei, daß zu Anfang des 17ten Jahrhunderts alle Lebensmittel, somit auch Aecker ec. weit niederer im Preise standen, als am Ende geselben, so wird man die Wohlfeilheit der Güter im französischen Kriege noch auffallender finden.

Die dadurch veranlaßte Noth wurde so schrecklich, daß eine Menge Menschen des Hungertodes starben, und auch die hiesige Bürgerschaft konnte viele Familien zählen, die Opfer desselben wurden. Viele andere wanderten aus; viele hielten sich in den umliegenden Waldorten verborgen. So kam es auch, daß sich am Ende dieses Jahres kaum noch der 4te Theil der frühern Bevölkerung hier befand. Wie ein Spottlied klangen in diesen allgemeinen Jammer einige Befehle an die Bürgerschaft. Eine Dienerin aus dem Gefolge des französischen Intendanten zu Straßburg, de la Grange, war lange an einem Beinbruche hier krank gelegen; nicht allein mußte die Stadt für sie die Kurkosten, welche zwei Duplonen (14 fl.) betrugen, bezahlen, sondern auch, da eine Empfehlung d. h. ein Befehl des Intendanten selbst vorlag, ihr auf ihr Ansuchen Reisegeld bis nach Straßburg geben. Sie erhielt 10 fl. aus den Kriegsgeldern, die aber, da nichts vorhanden war, erst eingezogen werden mußten. Um einer französischen Magd Reisegeld zu geben, erhielten die hiesigen Bürger, die mit dem Hunger kämpften, Erekution! Ein Befehl ähnlicher Art kam von der Landes-Regierung selbst. Vermuthlich, um größerm Unheile zuvorzukommen, beschloß dieselbe, dem französ. Commandanten zu Philippsburg, von dessen Laune das Schicksal der Markgrafschaft fast ganz abhieng, ein Geschenk mit einem Pferde zu machen. Pforzheim mußte zu diesem Geschenke 42 fl. geben. Gleich nach der Plünderung, im August war auch eine aus schwäbischen Kreistruppen bestehende Garnison eingerückt; sie war freilich nicht nur lästig, sondern auch überflüssig; denn sie gewährte durchaus keinen Schutz; so oft sich französische Truppen näherten, zogen sich die Garnisonen jedesmal zur Hauptarmee zurück.

Auf ähnliche Weise verlief das 1694te Jahr. Das ganze Jahr hindurch lag hier das durlachische Regiment unter dem Marschall von Menzingen, dem Oberstwachtmeister Barth, den Hauptleuten Pistorius von der Rita, Berkheimer, Krumhaar, Wucherer ec.; auch Abtheilungen des fürstenbergischen unter Klizing und Zickwolf, des hornischen und des schwäbischen Kreisregiments. Diese Garnison betrug sich aber so roh, daß die Bürger zuletzt, so mißlich es auch war, klagend einkommen mußten. Daß, ungeachtet eines Beschlusses der Kreisversammlung zu Ulm, wornach die Stadt Pforzheim an ihrer jetzigen Garnison nichts weiter zu leiden haben sollte, als das blose Obdach, der Commandant, außerdem noch gar mancherlei forderte, befremdete die Bürger nicht; sie waren der Art und Weise, wie solche Befehle geachtet wurden, schon gewohnt; aber daß derselbe auch täglich 15 Mann zu Schanzarbeiten oder für jeden Mann 30 kr. forderte, und dazu das Betragen der Garnison, kam ihnen etwas zu hart vor. In der Eingabe heißt es: "daß die einquartierten Offiziere sich
"gegen die Bürger so hart erzeigen, in specie, daß Herr
"Lieutenant Steck vom hornischen Regiment einige Bürger
"bereits hart geprügelt und damit zu continuiren gedroht,
"und heiße sie französiche Spionen;*Ein hiesiger Bürger, Jean de Maccaire, ein geborner Franzose, der aber schon lange Jahre hier ansäßig war, und der Stadt, besonders in Kriegszeiten, manchfache Dienste geleistet hatte, wurde wirklich bei der kaiserlichen Generalität als Spion angeklagt, und nur ein Zeugniß des Wohlverhaltens, das ihm der Magistrat ausstellte, rettete den 76jährigen Mann. Der Verdacht der Spionerie zu Gunsten der Franzosen traf die Pforzheimer sicherlich mit Unrecht. item daß aus
"Mangel an Kasernen die Bürger die Soldaten in ihren Stuben
"liegen lassen müssen, wovon beide Theile erkrankten. Item,
"wollen die Offiziere die Soldaten nach ihrem eigenen
"Belieben einquartieren, was doch die Franzosen nicht einmal
"gethan." Damit hängt auch der Befehl zusammen, keinem Soldaten etwas abzukaufen; denn die Bürger wurden fast öffentlich von den Soldaten beraubt.

Die Geldlieferungen an die Franzosen und den schwäbischen Kreis giengen fort. Unter den außerordentlichen Lieferungen waren die sogenannten Melac’schen Fouragegelder, eigentlich ein Einkommen für die Privatkasse des Generallieutenants Melac. Die Stadt Pforzheim mußte 140 trentesols (zu 45 kr.) bezahlen. Und da doch einmal außerordentliche Forderungen an der Tagesordnung waren, so gebührte sicherlich der badischen Regierung selbst auch ein Theil davon. Sie erließ einen Befehl, daß von den hiesigen Bürgern außer dem gewöhnlichen Zehnten von Frucht, Heu und Wein auch noch der dreißigste geliefert werden sollte. Man hatte wahrscheinlich vergessen, daß in Pforzheim nie der Heuzehnte gegeben worden war. Eine Supplik der Bürgerschaft: die Armuth sey zu groß; es werde wenig eingesäet; wenn die Frucht reif sey, werde sie fast jedesmal durch die Fourageurs weggenommen," hat aber wenig gefruchtet.

(Fortsetzung folgt.)


Die Kaiserlichen in Pforzheim.

Erzählung aus dem Jahre 1643.

Fortsetzung.

2.

Noch stehen die Trümmer eines alten hohen Thurmes im ehemaligen Schlosse. Auf dem höchsten Punkte der Stadt aufgeführt, ragte er gewaltig empor über seine Umgebung, und er würde noch mit verständlichen Worten von dem Treiben und Leben einer für uns untergegangenen Zeit reden, hätte nicht Geldspekulation die Stadt dieser Zierde beraubt. Doch diese Entweihung des Alterthums hat sich durch die Vereitelung des Planes gerächt. Quod non fecerunt Barbari, fecerunt Barberini.*Was die Feinde nicht gethan, das that die Unkenntniß und Gleichgültigkeit.

In der kleinen Wohnung auf der Spitze dieses Thurmes saß der alte Hochwächter Aristoteles Missel. Der schöne Morgen hatte sich in einen recht unfreundlichen Abend verwandelt. Der Wind blies heftig, und bei jedem Stoße zitterte die Wohnung des Wächters. Vor diesem lag eine alte Chronik und viele Papiere, in denen er eifrig las. Neben ihm saß an ihrem Rocken seine Ehefrau. Nachdem er eine ziemliche Weile still für sich gelesen hatte, sprach er endlich: Höre Margareth, das Lesen will mir nicht mehr recht behagen. Wenn ich mir lebhaft vorstelle, was man alles von mir verlangt, so wundere ich mich selbst, daß ich mit meinen alten Gliedern es noch leisten kann. Abends legt sich jedermann in friedlichen wie in unruhigen Zeiten ohne Sorgen, wenn sie nicht im eigenen Herzen ihren Grund haben, zur Ruhe und denkt, der alte Missel wird schon wachen und uns aufrufen, wenn irgend ein Unglück, wovor uns Gott bewahren möge! unserer lieben Stadt droht. Wenn irgendwo eine unvorsichtige Hausfrau meiner Mitbürger — das meinige nicht, da müßtest du selbst daran schuld seyn, Margarethe — aber meiner lieben Mitbürger bischen zeitlich Gut in Feuersgefahr bringt, so rührt sich niemand, bis der Hochwächter bläst. Und wenn Feinde als ungebetene Gäste in unsere Stadt eindringen wollen, wer ist’s, der die Bürger vor der nahen Gefahr warnt? der alte Missel ist’s, der die schläfrigen Posten zur Wachsamkeit aufrufen muß. Doch es ist gut so, und ich wollte doch, es bliebe auch so. Aber ich fürchte, ich fürchte, wir leben in einer Zeit, wo man bald ein Mehreres bedürfen wird, als dein Horn, alter Aristoteles!

Aber da tröstet mich immer wieder, Margareth, fuhr er, mehr gegen seine Frau, die schon längst gewöhnt war, den Reden und Erzählungen ihres Ehemannes stillschweigend zuzuhören, gewendet, fort, wenn ich mir die traurigen Zeiten, in welche der Herr uns mit unsern Lebenstagen gewiesen hat, und die Gefahr, die uns jetzt wieder bevorsteht, den Kopf etwas warm machen wollen, so tröstet es mich immer wieder, wenn ich lese, wie es unsern Vätern gieng. Nicht etwa das tröstet mich, daß es ihnen auch nicht besser gieng, als es ihren Kindern geht, nein, da bewahre mich der Himmel; der alte Missel würde sich seiner grauen Haare schämen, wenn er auf seinem Lebenswege keinen bessern Trost in Noth hätte finden können, als einen solchen — nein, das erquickt und stärkt, wenn ich lese, wie sie standhaft und entschlossen blieben bei dem, was sie als wahr erkannt hatten, und wenn auch das Schrecklichste zu fürchten war. Darum lese ich es noch immer gern, wie sich unsere Väter vor vierzig Jahren hielten, als es galt, ihr Kleinod, ihre reine evangelische Lehre zu bewahren. Darum lese ich es noch immer gern, und hab‘ es doch so oft schon gelesen, hab‘ ich es doch selbst erlebt. Und nun fieng er mit jugendlichem Feuer an zu erzählen, wie Markgraf Ernst Friedrich von seinen Räthen, und sonderlich von dem Chamäleon Pistorius verführt, Kalvinist geworden sey, und wie er alle seine lutherischen Unterthanen habe zwingen wollen, auch reformirt zu werden. Und wie da die meisten markgräflichen Unterthanen sich die Religionsveränderung hätten gefallen lassen, als ob man den Glauben nach Befehl der Fürsten so ohne weiteres ab- und anlegen dürfe, wie ein Kind sein Kleid nach dem Befehl seiner Mutter: wie er sich aber in den Pforzheimern sehr getäuscht habe, wie sie vielmehr entschlossen und einmüthig erklärt, daß sie ihren Glauben nicht verläugnen würden, und wie sie unter freiem Himmel feierlich geschworen hätten, lieber zu sterben, als dem Glauben ihrer Väter untreu zu werden. Und es ist mir noch lebendig im Gedächtnisse, fuhr er mit Begeisterung fort, als ob es nicht 40 Jahre, sondern 40 Tage wären, wie der Bürgermeister zuerst die Hand zum Schwure erhob, und wie eine tiefe feierliche Stille unter der großen versammelten Menge herrschte, als er die Eidesformel vorsprach. — Da hab‘ ich noch eine Abschrift davon. Er nahm ein Papier und las:

Ich gelobe und schwöre freiwillig und ungezwungen einen leiblichen Eid zu Gott dem Allmächtigen, daß ich zur Ehre Gottes, zur Erhaltung der wohlhergebrachten Augsburgischen Confession, und zur Verhütung alles Verweises bei den lieben Nachkommen, der ganzen Pforzheimer Bürger- und geschworenen Brüderschaft zu Behauptung der väterlichen Religion mit Leib, Gut und Blut treuen Beistand leisten, und was dem einen Widriges begegnet, so ansehen, als ob es mir selbst widerfahren wäre; dem Gegner, wer der auch immer seyn möge, nichts Geheimes offenbaren, auch auf des von der Bürgerschaft erwählten Geschwornen-Ausschusses Begehren, mich da, wohin ich beschieden werde, einstellen wolle. Jedoch unserem gnädigen Fürsten und Herrn in weltlichen Sachen unterthänigen gebührenden Gehorsam zu leisten unbenommen. So wahr mir Gott helfe und das heilige Evangelium!"

Und ich glaube, setzte er hinzu, nachdem er das Papier wieder sorgfältig in seine Chronik hineingelegt hatte, auch wir werden bald Gelegenheit haben, unsere Standhaftigkeit zu erproben. Die kaiserlichen Truppen werden nicht vergessen haben, daß die Pforzheimer im Kampf nicht zurückstanden, werden nicht vergessen haben, daß sie vor 19 Jahren den ungleichen Kampf gegen Tilly wagten, und daß sich mancher die Zähne an den Mauern Pforzheims ausbiß, ehe sie erstiegen wurden. Aber ich kann es auch nicht vergessen, fuhr er mit weicherer Stimme fort, denn damals fiel mein greiser Vater durch die Kugel eines meuchelmörderischen Baiern. Eine große Thräne rollte über die Wangen des kräftigen Mannes; er legte seinen Arm auf den Tisch und schaute, von mancherlei Gefühlen ergriffen, mit vorwärtsgewendetem Leibe durch das kleine Fensterlein hinaus in die öde, stürmische Nacht.

Seine Frau wagte es nicht, den Lauf seiner Gefühle zu unterbrechen, aber sie suchte ihnen eine andere Wendung zu geben.

Aber werden, sagte sie, die Pforzheimer dießmal ebenso standhaft seyn, wie früher?

Du zweifelst, ob sie die Probe der Bedrängniß aushalten werden, erwiederte mit beinahe strengem Tone der alte Mann. Er stand auf von seinem Sitze und gieng mit raschen Schritten im Zimmer auf und ab. "Ob sie bestehen werden? Glaubst du, wir haben darum schon so manches Jahr geduldig, weil wir’s mußten, die ewigen Einflüsterungen der Barfüßer- und Predigermönche mit ihrem gleißnerischen Wesen ertragen, um jetzt auf einmal der offenen Gewalt zu bewilligen, was Verführung nicht vermochte? Glaubst du, wir würden von einem Fremden uns zu dem zwingen lassen, was wir mit Gefahr für Gut und Leben unserm eigenen Fürsten abschlugen? Und wenn auch in unsern alten Knochen das Mark auszutrocknen anfängt, so wird unsere Jugend, wie ich hoffe, nicht aus der Art schlagen. — Aber ich fürchte, fuhr er mit gedämpften Tone fort, wir haben schon einen Verräther in unsern Mauern.

Um Gott, was meinst du damit? rief erschrocken sein Weib.

Heute, entgegnete er, war ich wieder, wie du weißst, bei unserm Herrn Diaconus Seuterlin. Der erzählte mir mancherlei und auch, daß ein Fremder in der Stadt herumschleiche, und man halte ihn für einen Spionen der kaiserlichen Truppen. Man habe ihn auch mit dem alten Tischinger sprechen sehen.

Wo ist meine Tochter? rief er schnell, als ob ein Gedanke ihn plötzlich durchzuckte. "Wo ist sie so spät in der Nacht?"

Sie muß zu Hause seyn, ich habe sie erst vorhin sprechen hören, erwiederte Margarethe.

(Fortsetzung folgt).


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