Pforzheims’s Vorzeit.
Für Pforzheim und seine Umgebungen.

Du kleiner Ort, wo ich das erste Licht gesogen,
Den ersten Schmerz, die erste Lust empfand;
Sey immerhin unscheinbar, unbekannt,
Mein Herz bleibt ewig doch vor Allen dir gewogen! Wieland.

Nro. 9. Samstag den 28. Februar. 1835.

Ueber die ehemalige Größe und Bevölkerung Pforzheims.

(Fortsetzung).

So wahrscheinlich, ja gewiß es nun also ist, daß die Altstadt früher bedeutender als jetzt war, so ist damit doch die Behauptung, womit man besonders den frühern größern Umfang der Stadt überhaupt darthun will, daß in früheren Jahrhunderten die sogenannte Pflästerstraße völlig überbaut gewesen sey, noch lange nicht erwiesen. Daß in derselben sich noch Thürgestelle und Trümmer von Häusern finden, beweißt nur, daß ainzelne Häuser dort standen, aber noch nicht, daß das ganze Pfläster überbaut, und also die Altstadt nur durch die Stadtmauer von der eigentlichen Stadt getrennt gewesen sey, sonst wäre nicht einmal zu begreifen, aus welchen Gründen die Stadt und Altstadt durch die Stadtmauer getrennt waren, da die Altstadt nicht etwa, wie die Brötzinger Vorstadt, erst später an die Stadt angebaut wurde, sondern älter als die Stadt selbst ist. Auch sprechen alle Nachrichten dagegen. Als im Jahr 1257 (Schoepflin. hist. zaringo–bad. tom. V. pag. 227.) der hiesige Schultheiß Erlewin Liebener kurz vor seinem Tode (er starb 1258) sein Testament machte, schenkte er mit Vorwissen und Einwilligung Markgraf Rudolfs seine Güter in der alten Stadt bei Pforzheim (in veteri civitate juxta Pforzhain) dem hiesigen Nonnenkloster. Es ist nicht abzusehen, warum es heißt: "bei," wenn die Altstadt nicht von der Stadt getrennt war. Noch bestimmter werden durch alle Jahrhunderte Gärten zwischen der Stadt und Altstadt, und besonders vor dem Altstädter Thore, beim Essiggäßchen ec. erwähnt. So werden zwei Gärten vor dem Altdorfer (Altstädter) Thor genannt, der Prediger-Garten, und Friedrich Tyfels Wyer Garten, wovon Markgraf Karl I. diesen an Paul Luthrau (Leutrum) von Ertingen schenkte. Und in den Kaufcontracten aus den letzten Jahrzehnten des 17ten Jahrhunderts ist mehr als einmal von Gärten in dieser Gegend die Rede. Gegen Gehres Seite 335 und Roller Seite 11: "daß die vermeinte Verlängerung der Altstadt bis an die Stadt in den französischen Kriegen des 17ten Jahrhunderts zerstört worden sey," ist kurz nur das einzuwenden, daß in jenem Kriege die Altstadt zwar geplündert, aber nicht abgebrannt wurde.

Eben so wenig hatte die Stadt eine größere Ausdehnung gegen die Sanct-Georgensteige. Alle Spuren und Trümmer von Gebäuden, die dort noch sichtbar sind, rühren von der ehemaligen Sanct-Georgen-Capelle her. Diese war aber von vielen Nebengebäuden umgeben. Es befanden sich daselbst außer den Oeconomiegebäuden noch die Wohnung des Unterförsters, des Hausmeisters und ein Krankenhaus. So war das Ganze einem großen Hofe oder einem Kloster ähnlich. Es lag aber niemals, wie man meint, im Umfange der Stadt selbst, auch standen außerdem keine weitere Gebäude auf der Sanct-Georgen-Steig.

Es ist aus dem bisher gesagten klar, daß die Stadt nie größer, als jetzt, ja streng genommen, kleiner war. Denn manche Plätze, auf denen früher keine Häuser standen, sind jetzt überbaut. So der Stadtgraben bei dem Brötzinger Thore, der jetzt beinahe ganz mit Häusern bedeckt ist, beim Altstädter Thore; gegen Abend ist die Brötzinger Vorstadt ebenfalls verlängert worden, und alle Gebäude im Pfläster sind in neuerer Zeit angelegt.

Gleiches Resultat ergibt sich für die Volksmenge aus den Gebornenlisten, die mit dem Jahre 1607 beginnen. Daß vor demselben die Stadt eine Verheerung oder sonstige bedeutende Verminderung der Seelenzahl erlitten habe, davon findet sich keine Spur. Wir können also annehmen, daß wir mit der Seelenzahl aus den Anfangsjahren des 17ten Jahrhunderts auch die der früheren Zeit besitzen. Die Summe der Geborenen für die Jahre 1607 – 1634 ist folgende:

Im Jahre 1607 wurden geboren 126.
" " 1608 " " 132.
" " 1609 " " 137.
" " 1610 " " 144.
" " 1611 " " 118.
" " 1612 " " 130.
" " 1613 " " 126.
" " 1614 " " 124.
" " 1615 " " 132.
" " 1616 " " 126.
" " 1617 " " 124.
" " 1618 " " 124.
" " 1619 " " 116.
" " 1620 " " 137.
" " 1621 " " 127.
" " 1622 " " 114.
" " 1623 " " 121.
" " 1624 " " 143.
" " 1625 " " 144.
" " 1626 " " 129.
" " 1627 " " 103.
" " 1628 " " 140.
" " 1629 " " 122.
" " 1630 " " 137.
" " 1631 " " 124.
" " 1632 " " 141.
" " 1633 " " 124.
" " 1634 " " 121.

Die Durchschnittszahl für jedes dieser 28 Jahre ist 126¼. Dies sind aber nur die Gebornen der Stadtgemeinde. Wir werden wenig fehlen, wenn wir für die Altstädter Gemeinde, von welcher wir für diese Zeit keine Kirchenbücher besitzen, die doppelte Zahl der Gebornen aus späterer Zeit annehmen. Wir haben also eine Durchschnittszahl von 148 in Einem Jahr Gebornen, und setzen wir voraus, daß in hiesiger Stadt auf 26 Seelen Ein Neugeborner kommt, so ergibt sich für den Zeitabschnitt von 1607 – 1634 die Summe von 3848, also eine Zahl von nicht gar völlig 4000 Seelen, während die Stadt jetzt über 6000 zählt.

Vom nächstfolgenden Jahre 1635 an aber beginnt die Drangperiode unserer Vaterstadt. Die kaiserlichen Truppen, ohnedem nicht an Kriegszucht gewöhnt, und nun, nachdem im Jahre 1634 die Uebermacht der Schweden in der Schlacht bei Nördlingen gebrochen war, auch dieser Fessel ledig, liessen die feindlichen, d. h. anders gläubigen Länder, durch welche sie zogen, ihre fanatische Grausamkeit in vollem Maße fühlen. So wurde auch Pforzheim barbarisch von ihnen behandelt. Viele Bürger kamen um, und eine Hungersnoth, welche durch die Verheerungen der kaiserlichen Truppen erzeugt worden war, vollendete, was diese begonnen hatten. Dadurch wurde im Jahr 1635 die Bevölkerung der Stadt fast um die Hälfte vermindert, und die Zahl der Geborenen beträgt für das Jahr 1635 nicht mehr als 78 für die Stadtgemeinde (worunter aber auch noch die hier gebornen Kinder von durchziehenden Soldaten begriffen sind), und etwa 10 für die Altstadt.

In der Stadtgemeinde wurden

im Jahre 1635 geboren 78.
" " 1636 " 80.
" " 1637 " 79.
" " 1638 " 66.
" " 1639 " 74.
" " 1640 " 68.
" " 1641 " 69.
" " 1642 " 75.
" " 1643 " 72.
" " 1644 " 72.
" " 1645 " 56.
" " 1646 " 55.

Es ergibt sich also für die Jahre 1635 – 46 bei einer Durchschnittszahl von 80 (69 5/6 für die Stadtgemeinde und 10 für die Altstadt) eine Seelenzahl von 2280.

Nach dem Ende des 30jährigen Krieges begann die Volksmenge wieder zu steigen, und betrug am Ende der 1680er Jahre kurz vor dem Ausbruch des französischen Krieges wieder 2800 – 3000.

Gleich im ersten Jahre dieses Krieges aber, 1688, sank durch Auswanderungen die Seelenzahl schon dergestalt, daß sie am Ende des Jahres kaum noch 2000 betrug, und durch die anhaltenden Stürme der Jahre 1689 – 93 war im letzten Jahre die Zahl der Geborenen 31, aber die der Gestorbenen war fünfmal größer. Es befanden sich damals nicht einmal 1000 Menschen hier. Gegen das Ende des Krieges sammelten sich indeß wieder die zerstreueten Bürger; es wanderten frische ein, so daß im Jahre 1698 die Bevölkerung doch wieder gegen 2000 betrug. Folgende Uebersicht zeigt die Abnahme der Bevölkerung der Stadt:

In der hiesigen Stadt (und Altstadt) wurden

im Jahre 1676 geboren 100.
" " 1677 " 106.
" " 1678 " 133.
" " 1679 " 101.
" " 1680 " 103.
" " 1681 " 95.
" " 1682 " 132.
" " 1683 " 109.
" " 1684 " 110.
" " 1685 " 110.
" " 1686 " 112.
" " 1687 " 98.
" " 1688 " 76.
" " 1689 " fehlen die Angaben.
" " 1690 "
" " 1691 "
" " 1692 "
" " 1693 " 31.
" " 1694 " 41.
" " 1695 " 59.
" " 1696 " 70.
" " 1697 " 72.
" " 1698 " 86.
" " 1699 " 77.

Nach dem Schlusse dieses Krieges wuchs die Bevölkerung ausserordentlich rasch; die Zahl der Gestorbenen war in den ersten Jahren des 18ten Jahrhunderts auffallend gering, und die starke Vermehrung, verbunden mit immer neuen Einwanderern, steigerten die Volkszahl im ersten Viertel des vorigen Jahrhunderts wieder auf 3000. Wenn nun gleich einzelne Unfälle z. B. die Seuchen von 1734 und 35, 1743, 1757 ec. eine augenblickliche Stockung verursachten, so war die Bevölkerung doch immer im Steigen, und erreichte zu Anfang unsers Jahrhunderts die Zahl von 5000, wozu die seit den 1760er Jahren hier aufblühenden Fabriken durch die vielen sich hier niederlassenden Fremden das meiste beigetragen hatten. Im ersten Jahrzehend dieses Jahrhunderts vermehrte sich die Zahl um 500, und in den letzten 20 Jahren um mehr als eben so viel, und hat so die niegewesene Höhe von etwa 6200 Seelen erreicht.

(Schluß folgt).


Der Bundschuh,

oder der Bauernaufstand im Jahr 1502.
Historische Erzählung.

(Fortsetzung).

4.

"Ich glaub‘ euch wohl Alles, Pfeifer, aber bringt Euch nur nicht aus Liebe um," sagte Creszentia schalkhaft zu dem wilden Pfeifer, der ihr so eben in ziemlich wehmüthigen Ausdrücken seine Liebe erklärt hatte. "Wie kommt ihr aber gerade an mich? Bin ich denn in Euerm Dorfe geboren, oder gibt es bei Euch keine Mädchen? Singt mir doch einmal das Lied vom häßlichen Bräutigam, wenn ich Euch bitten darf, oder blast es auf Euer Pfeife da, vielleicht vergeht dann Eure Liebe! "Du treibst Scherz, Creszentia, erwiederte der Pfeifer mit einem erzwungenem Gelächter, indem er sich ihr näherte. Aber — "bleibt in der Ferne," rief das Mädchen ihm entgegen, "ich sehe Euch am liebsten, wenn Ihr von mir weg seyd. Offen gestanden, ich mag Euch nicht; ich wollte es Euch schon längst sagen, da Ihr mir auf jedem Schritte nachfolget." "Es ist nicht dein Ernst, Dirne, nicht wahr?" sagte der Pfeifer, indem er ihre Hand fassen wollte, "berührt mich nicht, alter häßlicher Narr, meine Geduld ist zu Ende, ich verachte Euch, und wenn Ihr mir weiter aufdringlich seyd, so bin ich gezwungen, es meinem Bruder zu sagen."

"Du verachtest mich, schändliche Dirne," schrie der wilde Pfeifer wüthend, und war im Begriff, sein Messer zu ziehen, und auf das Mädchen loszustürzen, als sie um Hülfe rufend durch die Thüre entwischte. Eberhard und Fritz von Grumbach traten hastig ein. Sie ahnten sogleich das Vorgefallene. "Brav, sauberer Spielmann, hier treffen wir dich," begann Fritz höhnisch, du hast unser Führer werden wollen, und da dir das mißlungen, balgst du dich mit Weibern! Hast du geglaubt, man wisse deine Schliche nicht, wie du das Mädchen überall mit deiner Gegenwart plagtest? Während wir uns zum Angriffe rüsten, bist du verliebt, und verfolgst ein Mädchen! Dies ist das letzte mal, daß ich dir verzeihe, Pfeifer, noch einmal und du wirst meinem Zorn empfinden." "Ich werde ihn nicht empfinden, deinen Zorn," schrie der Pfeifer, als er allein war nach der beschämenden Scene; Du sollst es entgelten, sammt der Dirne! Wenn mein Messer stumpf ist, wird meine Zunge scharf, durch ein einziges Wort will ich Euch alle verderben."

Er verließ sogleich das Haus, einem Wolfe nicht unähnlich, dem seine Beute gewaltsam wieder genommen worden. —

Der Abend dieses Tages war herangekommen, und die zwei Männer, zu denen sich noch Vesperleuter spät gesellt hatte, flüsterten unruhig den ganzen Abend miteinander bis in die tiefe Nacht.

Die Mitternacht mochte nimmer weit entfernt seyn, denn Alles lag im Dorfe schon in tiefem Schlafe und selbst den Schaarwächter schien der Schlummer angewandelt zu haben.

Nur in einem Hause, das einige hundert Schritte vom Dorfe entfernt war, konnte man noch einen schwachen Lichtschimmer wahrnehmen. Das Haus lag auf einer kleinen Anhöhe unweit des Weges, der nach Bilsingen führt. Zahlreiche Obstbäume waren umher gepflanzt und würden es ganz dem Blicke des Vorübergehenden entzogen haben, wären sie nicht gerade kahl gewesen. Von der Hinterseite gränzte es hart an den Wald. So eben schlug es vom Thurme 12 Uhr, als aus dem Gebüsche dunkle Gestalten schlüpften und durch die dichtstehenden Bäume ihren Weg nach dem Häuschen einschlugen. Ehe sie eingelassen wurden, wechselten sie mit einem Manne, der an der Thüre stand, einige leise Worte. Auf diese Weise mochte das Haus schon gegen 20 Menschen aufgenommen haben, als auch unsere drei Bekannte, Vesperleuter, Fritz vom Grumbach und Eberhard ihren Weg nach dem Häuschen nahmen. "Was ist das für ein Wesen?" flüsterte der Thürhüter den Männern zu, worauf Eberhard schnell antwortete: "Wir können vor Pfaffen und Adel nicht genesen." Sie wurden sogleich eingelassen und das Haus wieder behutsam verriegelt. Es war eine tiefe Stille, die nur von einzelnen Windstößen und von dem entfernten Rauschen des Mühlbaches unterbrochen wurde. Bedachtsam öffnete der Thürhüter noch einmal die Thüre und schien sich von der Sicherheit des Ortes recht überzeugen zu wollen, indem er mit schlauen Blicken die ganze Umgebung des Hauses musterte. Nach kurzem Umherschauen jedoch verschloß er die Thüre wieder sorgfältig. — Es war aber doch nicht so ganz sicher, wie der Thürhüter sich mochte eingebildet haben, denn gleich nach seinem Verschwinden sah man eine kleine, und wie es schien, weibliche Gestalt, sich von Baum zu Baume in die Nähe des Hauses schleichen, und zwar bewegte sie sich nach derjenigen Seite hin, von wo aus man das Licht schimmern sah. Es war Creszentia. Sie hatte das späte und heimliche Entfernen der drei Männer aus dem Hause ihres Vaters bemerkt, und war, entweder etwas geheimnißvolles ahnend, oder von der, dem weiblichen Geschlechte so eigenen Neugierde getrieben, ihnen in der Ferne nachgefolgt. — Die Decke des Gemaches, in welchem die Verschworenen versammelt waren, bildete den Boden eines Schopfes, der den Heuvorrath des Besitzers enthielt, und zu dem man von außen vermittelst einer Leiter gelangen konnte.

Creszentia hielt, mit den Oertlichkeiten des Hauses wohl bekannt, an einem Baume, der dicht bei dem Hause stand, und von dem aus man bequem zu der Heubühne in Ermangelung einer Leiter gelangen konnte. Sie bedachte sich eine Weile, als ob sie bei sich das Wagstück überlegte, dann aber schwang sie sie sich behutsam an den Aesten des Baumes, der nicht schwer zu erklettern war, hinauf, und durch einen sichern, jedoch stillen Tritt befand sie sich über den Häuptern der versammelten Verschworenen. Sorgfältig räumte sie das Heu hinweg, um besser lauschen zu können, bis sie eine Ritze entdeckte, durch welche sie bequem beobachten und vernehmen konnte, was unter ihr vorging. Ein gewaltiges Staunen schien sich ihrer zu bemächtigen, nachdem sie eine Weile so die Versammelten beobachtet hatte. Sie zitterte heftig und ihr Auge war starr auf die seltsamen Mannsgestalten gerichtet. — Das Gemach, in welchem die Verschworenen ihre nächtliche Zusammenkunft hielten, mochte man eher für einen Stall halten, denn für eine Wohnstube, als die es im Geschmacke oder vielmehr in der Armuth jener bedrängten Zeiten galt. Der Fußboden war von festgestampftem Lehm, in welchen 4 Pfähle geschlagen waren, die eine Tischplatte trugen. Einige selbst verfertigte Stühle von roher Arbeit standen umher, und hinten gewahrte man einige gefüllte Streusäcke, welche der ganzen Familie zum Lager dienen mochten. —

(Fortsetzung folgt).


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