Pforzheims’s Vorzeit.
Für Pforzheim und seine Umgebungen.

Du kleiner Ort, wo ich das erste Licht gesogen,
Den ersten Schmerz, die erste Lust empfand;
Sey immerhin unscheinbar, unbekannt,
Mein Herz bleibt ewig doch vor Allen dir gewogen! Wieland.

Nro. 11. Samstag den 14. März. 1835.

Pforzheim am Schlusse des 17ten Jahrhunderts.
Zweite Abtheilung.

1. Zustand der Stadt nach dem zweiten Brande. Schwache Versuche, die Sachen wieder ins alte Gleis zu bringen.

Wir haben in der ersten Abtheilung dieses Aufsatzes die Geschichte unserer Vaterstadt in jenem Kriege mit ihren manchfachen Schicksalen, bis zum zweiten Brande verfolgt, und beginnen diesen Abschnitt zunächst mit einer Darstellung des Zustandes der Stadt nach demselben. Er war traurig genug. Der größte Theil der Stadt lag in Asche. Es war nichts mehr übrig, als der östliche Theil der Stadt, nämlich der Strich vom Altstädter Thore bis an die Stadtmauer an der Enz; die Schloßkirche nebst den, zwischen dieser und dem vor 60 Jahren zur Hälfte abgetragenen Thurme liegenden Schloßgebäude; das auf der Stelle des jetzigen Schulhauses gestandene Predigerkloster nebst der schönen Klosterkirche. Auch die Vorstädte blieben, obwohl sie in beiden Bränden vom 21. Jan. und 15. August geplündert worden, von der Zerstörung frei; die Franzosen hatten keinen Versuch zu ihrer Niederbrennung gemacht, da diese für feindliche Truppen keinen Haltpunkt, und selbst nicht einmal sichere Hoffnung auf Quartiere gewähren konnten. — Alles Uebrige war niedergebrannt. Die Gassen lagen so mit Schutt und Asche angefüllt, daß selbst in den oberen Theilen der Stadt die Keller, welche eine Zeitlang bei vielen Bürgern die Stelle der Wohnungen vertreten mußten, sich mit Wasser füllten, und fast überall bei den ohnehin engen Gassen die Durchfuhr gehemmt war. Diejenigen Bürger, welche beim Anrücken der Franzosen geflohen waren, sammelten sich nun wieder und drängten sich in dem noch übrigen Reste der Stadt zusammen. Wer gar keinen Raum mehr fand, erbaute sich eine Hütte, wo er es gerade bequem fand. Auf Bequemlichkeit der Straßen, auf einige Schuhe mehr oder weniger Bauplatz wurde nicht gesehen; ja selbst auf dem Markte standen mehrere solcher Hütten, da der Marktplatz in jenen stürmischen Zeiten ziemlich entbehrlich war. Erst späterhin, als die Bürger anfiengen, wieder ordentliche Wohnungen zu erbauen, nahm man es mit dem Bauplatz etwas genauer; dies war aber nicht immer möglich, denn die meisten Kaufbriefe ec. waren verbrannt; daher auch die sich noch jetzt hier und da findende auffallende Unregelmäßigkeit der Gassen.

Nicht minder groß, als die Unordnung war die Noth der Bürger und deren Familien. Die Plünderungen und der zweimalige Brand, welche schnell auf einander gefolgt waren, hatten die Bürger ihrer Güter beraubt; zwar war vieles von den Bürgern verborgen worden, aber dennoch gegen das, was zu Grunde gegangen war, unbedeutend genug. Aller Verkehr, aller Handel war vernichtet. Die meisten Bürger waren ohne alle Mittel zur Subsistenz. Es waren zwar im Februar, gleich nach dem ersten Brande, zwei hiesige Bürger mit einem Patente ausgesandt worden, um Beisteuern für diejenigen Bürger, welche durch jenen Brand ihre Häuser verloren hatten, zu sammeln, und es waren wirklich, da die abgeordneten Bürger fast ganz Teutschland durchreißt hatten, eine ziemlich bedeutende Summe zusammen gekommen; aber die Größe der Beiträge zeigt schon, wie unzulänglich die Unterstützungen waren, die man an die Bürger austheilen konnte; denn die Zahl der hülfsbedürftigen Bürger war durch den zweiten Brand bedeutend größer geworden . Jeder Bürger, der durch den Brand sein Haus verloren hatte, erhielt nicht mehr als 10 fl. Zudem wurden diese äußerst geringen Unterstützungen nur dem gereicht, der sich verbindlich machte, seinen Hausplatz wieder zu überbauen, und die meisten hatten kein Brod. Viele Bürger sahen sich daher genöthigt, auszuwandern, und unter denen, die zurückblieben, herrschte eben nicht die beste Ordnung.

Es war ein schweres Stück Arbeit, in dieses Chaos eine auch nur einigermaßen erträgliche Ordnung zu bringen, wo jeder für sich selbst genug zu thun hatte. Dennoch entledigte sich der der damalige Stadtrath größtentheils ziemlich gut seiner schweren Obliegenheit, obgleich ihm meist durch den fast völligen Mangel aller Hülfsmittel die Hände gebunden waren.

Die erste Sorge war und mußte bei den unruhvollen Zeiten Sicherheit gegen außen seyn. Die Thore standen zum Theil noch; sie waren durch die Bemühungen der Bürger, das unterlegte Pulver wegzubringen, erhalten worden. Es wird hier am Orte seyn, die Thore der hiesigen Stadt anzugeben. Von der Brötzinger Vorstadt war die Brötzinger Gasse durch das Brötzinger Thor mit seinem hohen finstern Thurme, der schon aus ziemlicher Ferne sichtbar war, getrennt. Die Brötzinger Vorstadt war außerdem durch drei Thore gesichert; in der obern Vorstadt stand das obere Graben-, in der untern bei der Schäferbrücke das Schäferthor, beschützt durch den dicht dabei stehenden festen Wasserthurm. Am westlichsten Ende der Stadt stand das Heiligkreuzthor, zunächst bei der gleich benannten, nun abgebrochenen Kirche. Ebenso, wie das Brötzingerthor, waren das Auer (Steinbrücker)- und Altstädter (Altheimer-, Altdorfer-, Entinger-) Thor durch Thürme und Zugbrücken, wo es nöthig war, gesichert. Auch die Aue besaß drei Thore. Die obere Gasse war durch das Hillerthor geschlossen, wovon die Gasse selbst auch oft die Hillergasse genannt wurde. Der Name des Gauchthörleins ist uralt. Am Ende der Kreuzgasse stand das Auer Bronnenthor. Am sorgfältigsten war der Zugang der Stadt von der Nordseite her durch das obere und untere Schloßthor und mehrere im Umfange der Schloßgebäude stehende feste Thürme verwahrt gewesen. Die Altstadt besaß damals keine Thore mehr.

Von diesen Thoren waren durch den ersten und zweiten Brand das Schloß- und Auerthor vernichtet, und die übrigen theilweise sehr beschädigt worden. Letztere wurden so gut es sich thun ließ, wieder hergestellt.

(Fortsetzung. folgt.)


Der Bundschuh,

oder der Bauernaufstand im Jahr 1502.
Historische Erzählung.

(Fortsetzung.)

5.

Unterdessen waren mehrere Wochen verflossen, ohne daß etwas Merkwürdiges sich ereignet hätte. Die Verschwörung, welche, wie wir wissen, gegen das Ende des Märzes zum Ausbruch hätte kommen sollen, schien zu Nichte geworden zu seyn. Die Steuern und Frohnden wurden mit der herkömmlichen Strenge damaliger Zeit eingetrieben und bekannt gemacht, aber im ganzen Lande war Nichts von einem Aufstande zu vernehmen. Diese Ruhe war aber eine Stille, welche gewöhnlich einem schweren Gewittersturme vorhergeht. Die Verschworenen rüsteten sich eifrigst im Geheimen, sie warteten nur das Zeichen in Bruchsal ab, welches sie verabredet hatten, um in der Markgrafschaft desto wüthender losbrechen zu können. Dies war die Ursache ihrer Zögerung, während welcher schon die größte Hälfte des Aprils verfloßen war.

Am 19. April war Lukas Rapp allein in den, dem Dorfe nahegelegenen Wald gegangen, um Holz zu sammeln, als plötzlich der wilde Pfeifer aus dem Dckicht zu ihm trat. Lukas war nicht ob der sonderbaren Erscheinung betreten, und man mochte vermuthen, daß beide schon mehrmals in abgelegenen Orten sich eingefunden und geheime Dinge mit einander verhandelt hatten. "Meine Geduld ist zu Ende, alter Schurke," begann sogleich der Pfeifer, Du täuschest mich nicht mechr mit Versprechungen, willst Du mir Creszentia zur Ehe geben oder nicht?" "Dein Zorn ist vergebens, Pfeifer, erwiederte Lukas kalt, sie ist schon für einen Bessern bestimmt." "Und Du bist dem Galgen bestimmt, grauer Dieb, grinzte der Pfeifer, wenn ich dem Schulzen sage, wer das Klostergut bestohlen, Du oder jene sechs armen Teufel, die in Ettlingen auf die Folter gespannt wurden. "Werde ich gehängt, so wirst Du mir auch Gesellschaft leisten, sagte Rapp gleichgültig, Du verräthst mich nicht, weil Du dich selbst verräthst." "Blitz und Tod! schrie der Pfeifer wüthend, Alter, ich weiß wer dort auf dem Kirchhof begraben liegt, morgen gehe ich zum Sachsenheimer!" Da erbebte plötzlich der alte Mann an allen Gliedern, er vermochte keine Antwort herauszubringen, der Pfeifer aber, über den Eindruck, den seine Worte auf Lukas gemacht hatten, teuflich erfreut, wiederholte seine Forderung: "Nun, wirst Du wohl jetzt über mich und Creszentia deinen Segen sprechen?"

"So nimm sie, Teufel, schrie der Alte, wie in einem Anfall von Verzweiflung, und schweig‘ auf immer!" "Aber die Dirne haßt mich, Du mußt sie zwingen, mich zu nehmen!" "So wahr die Heiligen im Himmel mir dereinst helfen mögen, ich will sie zwingen, will sie martern, bis sie einwilligt, verrathe nur das Geheimniß nicht." "Alter Narr, was geht mich dein Geheimniß an, wenn sie mein ist! Aber genug, wir kommen später wieder auf diesen Punkt, wo ich sehen will, ob Du Wort hältst, vorher muß ich über etwas Anderes mit Dir sprechen. Du hast mir einen Gefallen gethan, Lur, ich will Dir auch einen thun." Rapp horchte auf. Der Pfeifer näherte sich ihm geheimnßvoll und begann mit leiserer Stimme. "Hast Du noch nichts von unzufriedenen Bauern gehört, die sich über die schweren Abgaben beklagen und gerne ihrer entledigt seyn möchten? Es ist allerlei im Werke, und wenn ich wüßte, ob Du einen guten Lohn zu verdienen geneigt wärest, würde ich Dir vielleicht noch mehr sagen." Das klang dem Alten lieblich. "Ich armer Mann, antwortete er, bin jederzeit bereit, für wenig Geld zu dienen." "Du gefällst mir, Lur, ein braver Mann thut Alles um’s Geld, aber höre, was ich Dir sagen will. Eine Verschwörung ist angezettelt im ganzen Lande und Ersingen ist der Hauptort. Fritz von Grumbach, Vesperleuter, und — auch dein Sohn Eberhard stecken darunter; sie wollen sich frei machen und Pfaffen und Adel todtschlagen. Sie zählen mich auch zu ihnen, bin aber nur so lange dabei bis ich rechten Bescheid weiß. Der Alte erblaßte, als er den Namen seines Sohnes hörte. "Fürchte nichts für deinen Sohn, alter Kamerad, Du entdeckst die ganze Sache dem Sachsenheimer, er ist dir ja von alter Bekanntschaft her gewogen, bittest zugleich für Eberhard, die Verschworenen werden festgenommen, dein Sohn begnadigt, weil sein Vater den gefährlichen Bund entdeckte, und Lukas Rapp erhält für seine treue Dienste eine Hand voll schöner silberner Thaler. Aber noch heute muß es Sachsenheim erfahren, es ist der rechte Mann, der nicht lange zaudern wird, die Nachricht dem Markgrafen zu überbringen. Hier ist die Schrift, die ich nach langer Mühe mir zu verschaffen gesucht habe, sie enthält Alles, diese übergiebst Du ihm, er wird bald daraus klug werden. Meinen Namen aber nennst Du nicht, ob ich gleich keine Furcht habe, Du mußt angeben, die Schrift einem Bauern heimlich aus der Tasche entwendet zu haben; auch Eberhard darf nichts erfahren, sonst ist deine Mühe umsonst. Es ist die höchste Zeit, und ich habe nur so lange gewartet, um genau ihre Entwürfe kennen zu lernen. In der morgenden Nacht vom 20. auf den 21. ist ihre letzte Versammlung. Auf den 22. ist der Sturm festgesetzt; der ganze Bruhrein, die Bauern der Bisthümer Bruchsal und Speier stecken im Bunde, der 7000 Verschworene zählt." — Lukas Rapp war in Nachdenken versunken, er kämpfte augenscheinlich mit sich, ob er den gefährlichen Schritt thun sollte. Das Glück seines Sohnes und die Hoffnung auf eine große Belohnung waren ein Widerstreit. Aber der wilde Pfeifer war beredt genug, ihm die Bedenklichkeiten aus dem Kopfe zu schwatzen. Die Geldgierde besiegte endlich bei Lukas die letzten Regungen des Vatergefühls. "Dir zu lieb, Pfeifer, will ich es thun, gieb mir die Schrift und Du sollst morgen Antwort haben." Sie nahmen hierauf Abschied von einander, der Pfeifer sah noch lange dem Alten, der sich in größter Eile entfernt hatte, mit wilder Freude nach. "Der blutige Tag ist nicht mehr weit, sagte er für sich hin, an dem ich vollauf Rache nehmen werde. Der Alte ist in meiner Gewalt, er muß thun, was ich will. Ich bleibe bei der Sache aus dem mißlichen Spiele, und Creszentia wird mein!"

Der alte Rapp stand schon vor seinem Hause und öffnete rasch die Thüre. Er fand Creszentia am Spinnrocken. Ihre frühere Munterkeit war längst verschwunden, die nächtliche Szene, welche sie unglücklicherweise belauscht hatte, ließ eine Unruhe und Bangigkeit in ihrem Herzen zurück, welche sie Tag und Nacht marterte. So eben stand ihr eine Thräne im Auge; der Alte bemerkte es und wurde ungehalten: "Hör‘ auf mit deinem einfältigen Geheule, deine Schwester ist einmal todt, und es hilft kein Jammern mehr. Ich habe dir einen Mann auserlesen, es ist Zeit, daß du heirathest, aber schlag‘ dir nur den Vesperleuter aus dem Kopf, daraus wird nichts." Mit diesen Worten verließ Lukas, nachdem er seinen sonntäglichen Rock angezogen hatte, schleunigst das Haus. "Ich will nicht länger unter diesem Dache bleiben," sprach Creszentia, indem sie sich die Thränen abtrocknete, dies Haus ist mir zum Fegfeuer geworden seit meiner Mutter und meiner Schwester Tod. Mein Entschluß ist gefaßt. Meinen Bruder soll ich verlassen, und Ihn in den Tagen der Noth und der Gefahr? Nein! Euch will ich folgen, wohin Ihr auch gehen möget, mein Schicksal mag fallen wie es will. Besser der Tod als ein elendes Leben!"

Wir begleiten den alten Rapp nach Pforzheim. Auf sein dringendes Bitten wurde er sogleich zu Wilhelm von Sachsenheim geführt, den er in einer für seine Sache günstigen Stimmung antraf. Seine Schwester Brida, Aebtissin im Nonnenkloster zu Pforzheim, hatte ihn an jenem Tage zu sich rufen lassen. Sie wollte durch Bitten und Hinweisung auf die Religion ihren Bruder mit seiner verstoßenen Gattin wieder auszusöhnen suchen. Es war ihr aber nicht gelungen; er hatte sie in heftigen Gemüthsbewegungen, ihr und seiner Gemahlin fluchend, verlassen.

Kaum war der Ritter zu Hause angelangt, als Lukas Rapp ihm die Botschaft brachte.

"Und Er ist Rädelsführer?" schrie Sachsenheim, indem er das Zimmer mit schnellen Schritten auf- und abschritt. "Konrad Vesperleuter, gestrenger Herr," erwiederte Lukas, morgen Nacht halten sie ihre letzte Versammlung, es ist keine Zeit mehr zu verlieren." "Es soll ihre letzte seyn, bei der Hölle; so kommen wir wieder zusammen, Knabe! Du hast mir gedroht: es soll ein lustiges Zusammentreffen werden!" Lukas, Du mußt heute noch nach Bruchsal. Ich will dir ein Pferd geben, beeile dich, der Bischof muß Nachricht haben. Ich werde nach Durlach reiten." "Aber, gnädiger, gestrenger Herr, stotterte Lukas ängstlich, schont meines Sohnes, es ist mein einziger, die Stütze meines Alters!" "Es soll ihm nichts geschehen, sag ich Dir, Alter, erwiederte der Ritter, und für deine Belohnung will ich sorgen, wenn der Tanz vorüber ist." Bald war Lukas abgefertigt, er bestieg eines der Pferde des Ritters und schlug den Weg nach Bruchsal ein.

Auch Wilhelm von Sachsenheim verließ nicht lange nachher das Haus, sein Gesicht war glühendroth und sein Auge funkelte wild, als er durch die Gassen sprengte. Nachdem er die Stadt verlassen hatte, gab er seinem Rosse die Sporen und gestreckten Laufes eilte er Durlach zu.

(Fortsetzung folgt).


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