Pforzheims’s Vorzeit.
Für Pforzheim und seine Umgebungen.

Du kleiner Ort, wo ich das erste Licht gesogen,
Den ersten Schmerz, die erste Lust empfand;
Sey immerhin unscheinbar, unbekannt,
Mein Herz bleibt ewig doch vor Allen dir gewogen! Wieland.

Nro. 2. Samstag den 10. Januar. 1835.

Pforzheim am Schlusse des 17ten Jahrhunderts.

2. Vom ersten bis zum zweiten Brande. 11. (21.) Januar. 5. (15.) August 1689.
(Fortsetzung.)

Den 24. Juli (3. August) 1689 zog eine neue französische Heeresabtheilung bei Philippsburg unter General Duras über den Rhein, verbreitete sich schnell am ganzen Strome, berennte, wiewohl vergeblich, Heidelberg, brannte aber Bruchsal und Bretten nieder. Ein Theil dieses Corps zog den 3. (13.) August vor Durlach; ein anderer hatte sich einige Tage früher, vermuthlich von Bretten her, unter General Melac der Stadt Pforzheim genähert, und dieselbe zur Uebergabe aufgefordert. Aber die Bürger waren nicht willens, sich wieder, wie im vorigen Jahre, durch freundliche Worte und Versprechungen täuschen zu lassen, und beschloßen die Stadt zu vertheidigen, obgleich sie ohne Garnison und ohne Hoffnung auf Entsatz waren; der Markgraf Friedrich hatte ihnen selbst die Weisung gegeben, sie sollten, so gut es die Umstände thun ließen, mit dem Feinde unterhandeln. Demungeachtet rüsteten sich die Bürger zum Widerstande. Die Franzosen lagerten sich auf dem Roth. Viele Bürger verließen jetzt mit ihren Familien die Stadt und suchten in den umliegenden Wäldern Zuflucht; allein die umherschwärmenden Franzosen hatten in der ganzen Umgegend die Lebensmittel aufgezehrt. So waren diese Flüchtlinge der bittersten Noth preisgegeben, die auch viele von ihnen wegraffte. Viele starben Hungers auf dem Felde. (Mehrere hundert Einwohner unserer Stadt giengen im Laufe jenes Krieges durch Hungersnoth zu Grunde; welche von ihnen dies Schicksal während der Belagerung traf, ist nicht bekannt. Einige sind genannt: Flößer Joh. Georg Kienlin mit Frau und Kinder, Krämer Michael Zocher, Flößer Johann Jakob Mäulin ec.)

Indessen begannen die Franzosen ihre Angriffe bei der Obermühle. Dort war ungeachtet der im vorigen Jahre von den Franzosen angelegten Pallisaden und Wälle immer noch der schwächste Punkt der Stadt, weil die Stadtmauer durch die Mühlgebäude unterbrochen war. Trotz des eifrigsten Widerstandes drangen dennoch die Franzosen endlich durch die Trägheit und Treulosigkeit der am Hagenschieß liegenden würtembergischen Grenztruppen in die Stadt ein. Die Bürger wußten, was sie zu erwarten hatten. Die Stadt Durlach hatte sich gleich am anderen Tage nach dem Beginn der Belagerung ergeben; und wenn gleich die Stadt niedergebrannt wurde, so erhielten doch die Bürger noch Erlaubniß, vorher auszuwandern. Der französische General erlaubte ihnen noch, Lebensmittel mitzunehmen, und gab ihnen sogar noch 80 fl. (freilich geraubtes) Geld. Die Bürger von Pforzheim aber konnten von den durch den langen und hartnäckigen Widerstand erbitterten Franzosen keine ähnliche Milde hoffen. Wer daher noch fliehen konnte, floh; viele aber wurden auf der Flucht niedergehauen. Die Bürger, die beim Eindringen der Feinde sich noch retteten, flohen in das Schloß; aber auch sie wurden endlich überwältigt und gefangengenommen. Das Schicksal der Bürger, die nicht durch die Flucht entkommen waren, war Tod oder Gefangenschaft. Viele waren während der Belagerung gefallen, manche wurden von den Franzosen beim Eindringen in die Stadt erschossen. (Unter ihnen werden namentlich genannt: Rothgerber Christoph Eberlin, Weißgerber Hans Michael Feldner, Sailer Jak. Flach). Die gefangengenommenen Bürger wurden mit Weibern und Kindern ins Elsaß geschleppt. Die meisten dieser fortgeschleppten Bürger sind namentlich angegeben: (Rößlinswirth Joh. Beckh, Küfer Heinr. Braun, Metzger Johann Buck, (wurde in der Gefangenschaft Soldat und war im Jahre 1698 französischer Hauptmann), Bäcker Michael Dengler, Hafner Sebastian Dien, Schneider Peter Denninger, Matthäus Enderlin, Handelsmann, Schreiner Lukas Flachmüller, Flößer Hans Georg Gerwig, Schlosser Hans Georg Kechler, Rothgerber Michael Kercher (einer der wenigen, die wieder zurückkehrten) Matthäus Lotthammer, Schreiner Johann Lang, Metzger Joh. Jak. Meerwein, Schuhmacher Joh. Peter Mutschler, Zeugmacher Johann Martin Niclus, Sigmund Pfinder, Tuchmacher Friedr. Sold, Schmidt Matthäus Stattler, der 82jährige Bürgermeister Stieß, Metzger Jakob Wirth ec. Die gefangengenommenen Bürger hatten meist ein sonderbares Schicksal. Sie wurden mit vielen anderen aus der Markgrafschaft fortgeschleppten Bürgern auf die Galeeren geschmiedet; späterhin aber wurden 1300 von ihnen von König Ludwig XIV. von Frankreich dem vertriebenen englischen Könige Jakob Stuart zu Hülfe geschickt unter dem Befehle Kapitän Steigs. Dieser, Matthäus Steig, war der uneheliche Sohn einer Schweizerin, die nachher einen Bauern von Knielingen bei Karlsruhe, Namens Gallus Hauß, heirathete. Hauß ließ den talentvollen jungen Steig studieren; auch die Herrschaft unterstützte ihn; er ließ sich aber zu Maulbronn unter General Serini anwerben, und wurde, als man ihn da wieder ausgelöst hatte, französischer Musquetär. Als solcher erbeutete er bei Mainz drei mit Geld beladene für die teutschen Truppen bestimmten Maulthiere, wofür ihm König Ludwig Adel und Kapitänsrang verlieh. Er zog nun mit seinen 1300 Mann, (worunter auch mehrere hiesige Bürger waren: Matthäus Gerung, Andreas Hertenstein, Johann Martin Niclus, Johann Schwarz ec.), nach England, ergab sich aber bald mit seinen Truppen an das Haus Hannover. König Georg von England ernannte ihn deßwegen zum Obersten. Steig entließ bald darauf die unter ihm stehenden Truppen nach Teutschland, und starb im Jahre 1717.)

(Fortsetzung folgt.)


Die Hochzeit zu Tübingen.

Eine historische Skizze.
Der Uebel größtes ist die Schuld.
Schiller.

Wer von einem der Berge, welche das Dörfchen Weißenstein einschließen, herabsieht auf das stille Thal, und wenn kein Ton zu ihm hinaufsteigt, als etwa das Gemurmel der Nagold, die in romantischer Windung sich krümmt, oder der Klang der Abendglocke, der möchte kaum glauben, daß einst in dieser kleinen, von Bergen umgebenen Welt ein regeres Leben, ein Getöse von Menschenstimmen und Waffenklängen die Luft erfüllt habe. Da, wo die Trümmer einer längst vergangenen Zeit uns gewaltig die Vergänglichkeit alles Irdischen predigen, da standen einst in voller Blüthe Schlößer und Thürme, roher, aber kräftiger Bauart, wie die Menschen, welche sie ausführten, Die Bewohner dieser Burgen nannten sich die Herren von Wizzenstein, denen auch die Burg Liebeneck zugehörig war. Ueber die Erbauung der drei Burgen in Wizzenstein, die jetzt noch im Munde des Volkes: Hoheneck, Rabeneck und Kräheneck heißen, schweigt die Geschichte gänzlich; erst im 13ten Jahrhunderte sind uns von ihnen Data überliefert, welche wir zum Gegenstand unserer Erzählung genommen haben.

Es war um das Jahr 1230, als der junge Belrem, Herr zu Weißenstein, aus dem heiligen Lande zurückkam, in das er mit Kaiser Friedrich II. gezogen war. Sein Vater war während seiner Abwesenheit gestorben, und er, als der einzige Erbe hatte nun völligen Besitz von Weißenstein genommen. Der Orient hatte aber in Belrem eine auffallende Veränderung bewürkt. Kühn und feurig, voll Plane für die Zukunft, und voll Ehrgeiz hatte er sich den Kreuzfahrern angeschlossen, um das Land, auf dem einst unser Erlöser sichtbarlich gewandelt, den Sarazenen wieder entreißen zu helfen; düster, alt an Kummer, lebenssatt, in sich verschlossen, war er zurückgekehrt. Beinahe hätten ihn die Seinen nicht mehr erkannt. Seine Züge waren älter geworden als seine Jahre; alle Wünsche nach Lebensgenuß schienen in Palästina entschlummert zu seyn. Einsam, mit sich selbst zerfallen, schien er oft in dumpfem Hinbrüten mit sich selbst einen Kampf zu kämpfen, der manchmal still vorüberging, manchmal in laute Wuthanfälle ausbrach. In solchen finstern Stunden hatte er Niemand, der ihn zu besänftigen vermochte, als seinen treuen Lehrer, den ehrwürdigen, frommen Vater Ambrosius. Er dämpfte die furchtbare Leidenschaft in der Brust des jungen Ritters, obgleich er nie eine Spur über die Ursache der Anfälle Belrems entdecken konnte. Des Ritters einzige Beschäftigung war die Jagd, doch konnte man bei ihm nicht sagen, ob sie ihm würklich Vergnügen gewähre, denn er kam meistens mit verstörteren Zügen nach Hause, und so oft er zurückkehrte, entdeckte man an ihm Spuren, daß er einen furchtbaren Kampf mit den Thieren des Waldes müsse bestanden haben.

So waren einige Monate nach Belrem’s Rückkehr aus Palästina vergangen, als eines Tags ein Bote in den Burghof zu Weißenstein eingeritten kam, gesandt vom alten Pfalzgrafen Wilhelm zu Tübingen. Der Bote war ein Hochzeitbitter. Belrem möchte in seines verstorbenen Vaters Namen zu Anfang der nächsten Woche in Tübingen der Hochzeit Kuno’s von Menzenberg, mit Wilhelms Tochter, Adelheide, beiwohnen.

Dies war für Belrem keine angenehme Mähr. Wär‘ er entboten worden zu einer blutigen Fehde, er wäre mitgezogen, wär‘ er zu einer Wolfsjagd geladen worden, er hätte sich willig eingestellt, aber einer Hochzeit beizuwohnen, war eine Höllenpein für Belrems düstere Seele, die kein fröhliches Menschengesicht sehen mochte. Dennoch sagte er zu, denn er dachte an seinen verstorbenen Vater.

Der Tag der Hochzeit kam heran, und Belrem zog mit einem Aufzuge, der für die Festlichkeit des Tages geeignet war, aus seiner Burg hinüber in das Würmthal und von da auf die Heerstraße, die nach Tübingen führte. Ambrosius soll ihm noch vorher in’s geheime die Worte in das Ohr geflüstert haben, wenn er heute das Schwert nicht ziehe, so würden bessere Tage für ihn kommen, Belrem habe hierauf das Haupt verneinend geschüttelt und sey davongesprengt.

In dem Schloße zu Tübingen gieng es fröhlicher zu, als in den traurigen Mauern zu Weißenstein, wo alles durch Belrems Leidenschaft eingeschüchtert war. Der schönste Schmuck von Rittern und Frauen war im Saale zu Hohentübingen versammelt, und die Anwesenden wetteiferten, wer den Andern in der Fröhlichkeit überbieten könnte. Der Reigen hatte begonnen, Trinksprüche auf das Wohl der Brautleute ausbracht, erhöhten die Freude. Sänger meldeten in Liedern den Rittern und Frauen die Geschichte einer altergrauen Zeit, sangen von Riesen und Helden, von Schlachten und Kriegen. So war der Jubel der Gäste allgemein.

Nur auf Belrem machte dieser Frohsinn keinen Eindruck, er saß in einer Ecke mit Konrad v. Vaihingen, einem Manne, der ganz für Belrem’s düstere Seele geschaffen zu seyn schien; die in beiden gleiche Gemüthsart hatte sie zu Freunden gemacht. Beide erfüllte derselbe Menschenhaß, nur daß Belrem sich selbst noch mehr zu hassen schien. Konrad war von riesenhaftem Körperbau; wenn er den Mund zum Sprechen öffnete, so verzog sich sein Angesicht in widerliche Falten, die noch durch das grimmige Funkeln seines einzigen Auges (denn des anderen hatte ihn ein Steinwurf beraubt) noch häßlicher wurden, und wenn es wahr ist, was man im Geheimen über Konrad flüsterte, so war der Beiname, den ihm die Leute gegeben, nicht ganz unpassend. Man nannte ihn nur den Währwolf, wegen der Eigenschaften, die er mit jenem fabelhaftem Thiere ziemlich sollte gemein gehabt haben.

Diese beide saßen beisammen, und Konrad ermangelte nicht, den Wein, welchen er schon in bedeutendem Maaße zu sich genommen, unserm Ritter anzupreißen. Sie tranken oft und in langen Zügen, und je mehr Belrem trank, desto mehr glaubte er den bösen Geist, der seine Seele folterte, von sich zu scheuchen. Der alte Pfalzgraf Wilhelm näherte sich Belrem mit jener herzlichen Freude, die das Alter so schön zeichnet, und redete den Weißensteiner an: Ich bringe Euch gute Mähr, Vetter ihr sollt heute einen Kriegsgefährten zu sehen bekommen, der zurückgekehrt ist aus dem Morgenlande. Es ist —

In diesem Augenblicke traten zwei fremde Gestalten in den Saal, es war ein Jüngling, der ein Mädchen von seltsamer Tracht an der Hand führte. Man glaubte in den beiden Angekommenen Asien und Europa in liebenden Vereine gepaart zu sehen. Sie war eine von jenen üppigen Töchtern des Morgenlandes, die in dem kleinsten Zuge ihre asiatische Herkunft beurkunden. Ihr hoher, schlanker Wuchs, ihre Fülle von rabenschwarzen Haaren, unter dem weißen Turban, ihr schwarzes, schwärmerisches Auge, das gegen die etwas bleichen Wangen auffallend abstach, die ausdrucksvollen Züge, das orientalische Gewand, alles dies überredete, sie sey eine von jenen Feentöchtern, von jenen Zaubergestalten, die uns die Mährchen in tausend und einer Nacht so wunderlieblich schildern. Sie sprach nur wenig teutsch, aber aus ihrem lebhaften Geberdenspiel konnte man jeden Gedanken errathen. In Rom war Zuleima zur christlichen Kirche übergetreten, und nun wollte Volbert von Poltringen seinen alten Vater um seinen Segen bitten. Ritter und Frauen begrüßten herzlich die Neuangekommenen, und Cuno von Menzenberg mit seiner Braut Adelheide konnten vor Freude über die unerwarteten Gäste kaum Worte finden. Am schönsten malte sich die Fröhlichkeit auf des alten Pfalzgrafen Antlitze. Er geberdete sich wie ein Kind, schaute beide an, drückte ihnen die Hand, und wiederum ruhte sein Auge mit dem äußersten Wohlgefallen an den schönen Gestalten.

Einen gräßlichen Gegensatz gegen den allgemeinen Jubel bildete Belrem. Sein hochrothes, vom Wein glühendes Antlitz hatte beim Anblick der Fremden sich in Leichenbläße und diese ins Fahle verwandelt. Ein Fieberfrost überzog seine Haut, seine Zähne schienen zu klappern, und als er sich bemühte aufzustehen, sank er halb ohnmächtig auf seinen Sitz zurück. Sein Auge stierte todt und glanzlos auf einen Punkt in die Luft, und über sein Antlitz liefen einige kalte Schweißtropfen herab.

Noch hatte ihn keiner der Ritter beobachtet, außer Konrad, der ihn aus dem Saale zu bringen sich bemühte, aber Belrem war leblos wie ein Stein. In diesem Augenblicke führte der Pfalzgraf Volbert und Zuleima gegen das untere Ende des Saales, wo Belrem und Konrad saßen, ich will dir einen Bekannten zeigen, Volbert; He, Weißensteiner, kennt ihr den Ritter da?

Zuleima war mit bebenden Schritten genaht, als ahnte sie keine freudige Bekanntschaft, plötzlich aber stieß sie einen durchdringenden Schrei des Entsetzens aus und gleitete leblos an Volberts Seite nieder. Laßt sie liegen, rief Volbert, bis zum Wahnsinne wüthend, den Frauen zu, die sie ins Leben zurückzubringen sich bemühten. Dies ist dein Werk, Belrem von Weißenstein, aber sie wird wieder erwachen, hat ja doch uns beiden im heiligen Lande dein Gift nichts gethan! Du wirst mir in Europa Rechenschaft stehen, die du in Asien mir verweigert hast! Aber Belrem hörte von all dem Nichts, er war eine todte Masse, nur die Schweißtropfen, die häufiger von seiner Stirne rannen, bezeugten, daß er noch lebe.

Als hätte plötzlich die ganze Versammlung der Donner gerührt, so standen alle Gäste umher, keiner sprach ein Wort, es war eine Todesstille im Saale. Aber Volbert fuhr fort, machdem er eine Weile Belrem in stiller Wuth angeschaut hatte: Zuleima wird wieder erwachen, wenn dieser Bube da aus ihrer Nähe geschwunden ist. Deine Schandthaten will ich offenkundig machen, so lange meine Zunge sich noch bewegen kann.

(Fortsetzung folgt.)


Unter Verantwortlichkeit von G Lotthammer.
Drucker: K. F. Katz.

nächster Teil