Bellrem von Weißenstein

Romantische Sage

von
Ludwig Auerbach

Motto:
Das eben ist der Fluch der bösen That,
Daß sie fortzeugend Böses muß gebären!
Schiller

Pforzheim, 1860

Druck und Verlag von J.M. Flammer
(W. Behrens.)

Meinem Freunde
Emil Ehrismann.

I.

Nicht in dem Taumel flücht`ger Freudenstunden,
Nein, in der Gotterkenntniß heil`gem Streben
Hat sich das Herz den Freundesgruß gegeben,
In wahrer Liebe innig sich verbunden!

Und weil im "Ew`gen" wir uns, Freund! gefunden,
Wird auch des Ew`gen Geist den Bund umschweben:
Wir sind uns Freunde für das ganze Leben -
Auch wenn der Jugend rasche Glut entschwunden.

Uns wird der Freundschaft geistermunternd Walten
Nur herrlicher den Meister offenbaren,
Das Gottesreich der wahren Menschlichkeit.

Wir werden uns den Geisteslenz bewahren,
Sind jung in Liebe, wenn die Züge alten
Und in der Jugend, die die Dichtkunst beut!

II.

Drum, meiner Dichtung erste Gabe
Leg` ich auch, Freund, in Deine Hand:
Sie sei - bis einst ich bess`re habe -
Der Liebe und der Treue Pfand!

Pforzheim, im August 1859.

Prolog

Verstoßen ist das Kind der Sage;
Sein Angesicht hat es verhüllt;
Es birgt sich tief im Waldeshage,
Bis Mondlicht Thal und Gründe füllt.
Dann kommt es zag heraus gegangen
Und lauscht, ob nicht mit rauhem Wort,
Wie ihrer ihm schon viel erklangen,
Ein Sohn der Zeit es scheuche fort.

Doch fühlt es sicher sich, faßt Freude
Des Kindes Herz; bald hat entzückt
Mit Blumen von der Flur und Haide
Von stillen Höh`n es sich geschmückt.
Es badet sich im Sterneschimmern,
Im Blumenthau das Auge rein;
Dann singt es von des Schlosses Trümmern
Sein Zauberlied ins Thal hinein.

Und sind verhallt die süßen Lieder,
Dann stößt es in sein Wunderhorn:
Wie Jägerjauchzen schallt es nieder
Wie Kriegesruf und Heldenzorn.
Des Thales Schatten werden Leben -
Und willst du lernen, Sohn der Zeit! -
So werden Schatten Lehre geben,
Wie sie dir kaum das Leben beut!

Denn die Gebilde sind vollendet:
Der Sieg gekrönt, die Schuld gesühnt!
Du siehst, wie Alles schafft - und endet -
Wie bald das Moos: Vergessen! grünt!
Doch, daß das Göttliche muß siegen,
Das Göttliche der Menschlichkeit,
Der Lüge Teufel muß erliegen -
Das lernst du auch, o Sohn der Zeit!

Des Volkes Urtheil ist die Sage;
Sie ist sein Dank, sie ist sein Preis,
Ist seine Rache, seine Klage.
Dem Kind vererbt sie treu der Greis,
Daß durch sie fort der Enkel richte,
Sie ihm den Pfad der Tugend weist.
Es haucht wie in der Weltgeschichte
In ihr der Wahrheit heil`ger Geist.

Drum Blindheit ist´s, sie zu verstoßen,
Als wär sie nutzlos unsrer Zeit,
Die selbst nur pflegt der Zukunft Rosen
Und zehrt von der Vergangenheit.
Ich selbst war von dem Wahn befangen,
Der sie als Träumerin verstieß,
Bis einst sie mit verschämten Wangen
Ein seltsam Bild mich schauen ließ.

Ich stand auf blum`ger Bergeshalde
Und sah hinab in`s Nagoldthal.
Purpurisch blühend über `m Walde
Verglommen des Tages letzter Strahl.
Wie noch aus halbgebrochner Lider
Verklärt ein segnend Leuchten bricht
Floß er aus Purpurwolken nieder,
Ein weltverklärend, heilig Licht.

Wie lag im dunkeln Waldeskranze
In seinem goldenhellen Schein,
Durchströmt von munter`m Wellentanze -
Das Thal so schön - Dorf Weißenstein;
Wie heimisch traut und friedensstille!
Ein Garten früchteschwangrer Au`n,
Die wonneheimlichste Idylle
Erglänzte mir zu sel`gem Schau`n!

Ich saß in tiefem Andachtschweigen,
Empor die Abendglocke klang,
Und auf der nächsten Tanne Zweigen
Die Heidelerche leise sang.
Da plötzlich stieg die Schloßruine,
Die aus des Dorfes Mitte ragt
Auf vor dem Blick mit düstrer Miene,
Dir allzufrühen Fall beklagt.

Wie war die heitere Schau erblichen!
Verdüstert lagen Dorf und Thal,
Bis aus den Wolken Sternlein schlichen
Und silberbleicher Mondesstrahl.
Doch dehnte wie ein grauer Riese
Das Schloß die Schatten durch die Nacht
Daß noch sein Schatten uns bewiese
Die längst gefallene Herrschermacht

Ich sah es an mit stillem Trauern,
Ich dachte sinnend jener Zeit
Da auch in diesen morschen Mauern
Erblühte Leben, Lust und Leid.
Was war ihr Denken und ihr Fühlen
Der Menschen, welche hier gelebt?
Ob noch im Zeitstrom Wellen spülen
Des Geistes, welcher hier gestrebt?

Da nahte freundlich sich die Sage
Und weil ich sie willkommen hieß,
Gab Antwort sie auf meine Frage
Indessen sie sich niederließ.
Sie hat ihr Lied mir vorgesungen,
Manch ein Geheimniß mir vertraut,
Bis in des Thales Dämmerungen
Ich Bellrems düstres Bild geschaut.

Da plötzlich flog ein seltsam Schimmern
Wie Wetterleuchten um das Schloß.
Gestalten stiegen aus den Trümmern:
Die Ritter mit der Knappen Troß.
Und Bellrem´s Freveln, seine Klagen,
Die martervolle Seelennoth
Ließ mir erscheinen nun die Sage
Wie seine Sühnung durch den Tod! -

Da klangen schon die Morgenglocken
Und unter ging das Bild der Nacht.
Der Lerche jauchzendes Frohlocken
Flog vor des neuen Tages Pracht.
Das Schloß schien wieder öd und stille,
Doch freundlich lag des Frühroth`s Zier
Auf ihm wie auf der Thalidylle:
Versöhnungsopfer schien es mir.

Und dankend schied ich von der Sage,
In Liebe jetzt für sie beseelt.
Ich hab in kühnen Saitenschlage,
Was ich erschaute, neu erzählt.
Doch zage kommt mein Kind gegangen,
Tritt schüchtern in die Gegenwart.
O möchtest freundlich Du´s empfangen!
O richte es nicht all zu hart!

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