Pforzheims’s Vorzeit.
Für Pforzheim und seine Umgebungen.

Du kleiner Ort, wo ich das erste Licht gesogen,
Den ersten Schmerz, die erste Lust empfand;
Sey immerhin unscheinbar, unbekannt,
Mein Herz bleibt ewig doch vor Allen dir gewogen! Wieland.

Nro. 26. Samstag den 27. Juni 1835.

Weissenstein.

(Schluß.)

Uebrige zu bezahlende Abgaben der Weißensteiner.

Die genannten Steuern, Gülten ec. waren aber nicht alles, was die Einwohner von Dill- und Weißenstein zu zahlen hatten. Auch anders wohin, als an den Gutsherrn, mußten sie noch vieles bezahlen. Dies gehört wohl streng genommen nicht hierher, da hier eigentlich die Rede nur von den Einkünften des Schlosses Weißensteins ist; allein, da es sich hier so natürlich anknüpfen läßt, so mag es auch aufgeführt werden, umsomehr, da die Resultate einer Vergleichung von damals und jetzt nicht ohne Interesse seyn können.

Sie mußten noch ferner bezahlen:

An die Pfarrei in Büchenbronn ablösigen Geldzins 12½ Schill. Pfenn.
ebendahin desgl. 8 Schill. Pfenn.
An die Caplanei in Huchenfeld 12 " 4 "
An die geistliche Verwaltung (außer dem, was sonst von Gefällen dorthin gezogen worden war) 24 fl. 6 Schill. Pfenn.
An das Predigerkloster in Pforzheim fl.

Summe in alter markgräfl. Währung: 144 fl. 11 Schill. 4 Pfen.
oder nach unserm Gelde: 235 fl. 113/5 kr.
26

Wir kehren zur eigentlichen Geschichte von Weißenstein zurück. Nur kurze Zeit behielt Dietrich von Gemmingen das Schloß und Gut Weißenstein. Schon 1464 wurde es nebst Dorf und Dillstein von Markgraf Carl I. an Heinrich (Hesso) von Kaltenthal als Mannlehen (d. h. nur auf die männliche Nachkommenschaft forterbend) übertragen, unter gleichen Bedingungen, wie es Dietrich von Gemmingen erhalten hatte, mit Vorbehalt des Oeffnungsrechtes. Durch ihn kamen auch mehrere seiner Geschwister nach Pforzheim. Seine ältere Schwester Margarethe, welche in Pforzheim im Jahre 1512 starb, war die Gemahlin Wilhelms von Sachsenheim; seine jüngere Brida (Brigitta) wurde Abtissin im Nonnenkloster daselbst.

Heinrich von Kaltenthal hinterließ zwar zwei Söhne, Georg und Jakob, aber keiner von beiden folgte ihm in dem Lehen von Weißenstein, sondern dies wurde nach dem bald darauf erfolgten Tode Heinrichs von dem Markgrafen an die Edlen von Ehingen verliehen. Durch sie wurde das Lehen bedeutender. Sie erhielten noch als Reichslehen, d. h. als ein unmittelbar vom Kaiser gegebenes Lehen, das Halsgericht, den Stock und den Galgen zu Dill- und Weißenstein, das Recht, nicht nur körperliche, sondern auch Todesstrafen zu verhängen — die höhere Gerichtsbarkeit. Dies geschah im Jahre 1488.

eingelegtes, handbeschriftetes Zettelchen

Aber auch bei dieser Familie blieb Weißenstein nicht lange, wie es überhaupt seine Besitzer schnell wechselte. Schon um 1512 verkaufte Christoph von Ehingen Weißenstein und Dillstein nebst den ebengenannten Reichslehen, der höheren Gerichtsbarkeit an Reinhard von Neuhausen, und mit ihm kam diese Familie auf eine etwas längere Zeit, weßwegen sie auch die bekannteste ist, in den Besitz des Schlosses Weißenstein.

Reinhard von Neuhausen bezeichnete seine Belehnung damit durch das Einhauen seines Wappens oberhalb des Einganges zum hintern Schloßhof. Das Wappen selbst (ein Löwe, der einen Ast hält) ist noch wohl erhalten; von dem Namen Reinhards von Neuhausen das letzte Wort: Newhusen, von der Jahresangabe 1512 nur noch die letzte Zahl. Außerdem sind noch manche Spuren dieser Familie in Weißenstein vorhanden. Die Gemeinde schloß mit ihr viele Verträge über Gülten und Waidgerechtigkeiten u. dgl. (so Ablösung des Blut- und Obstzehnten 1539, Vertrag zwischen Weißenstein, Büchenbronn und Pforzheim über die Weidgerechtigkeit auf dem Roth 1543 u. s. w.). Von den neuen Grenzsteinen, welche die Familie Neuhausen während ihres Sitzes in Weißenstein um die ganze Gemarkung herum setzen ließ, sind noch viele mit den Löwen des neuhausischen Wappens vorhanden, woher bei vielen Einwohnern Weißensteins die sonderbare Behauptung entstanden ist, als ob mit diesen sogenannten Löwensteinen besondere Vortheile, die ihnen widerrechtlich entzogen worden seyen, verknüpft gewesen; daß ein Löwe ihr ursprüngliches Gemeindewappen gewesen sey, und ähnliche Verwirrungen mehr.

Reinhard von Neuhausen Sohn, Hans Reinhard von Neuhausen-Weißenstein heirathete 1530 Margarethe, die Tochter Veits von Werdnau. Der Heirathsvertrag ist zu belehrend für die damaligen Sitten und Gebräuche, als daß wir ihn nicht mittheilen sollten.

Er lautet von Wort zu Wort folgendermaßen:

"Im Namen der Heyligen ohnzertheilbaren Dreyfaltigkeit. Amen. Kundt, wissend vnd offenbahr seye allermenniglich mit diesem Brieffe, daß vff heut zu Mehrung der H. Christenheit und guter Freundschaft durch die Edlen vesten Rennhard von Neuhausen zu Weißenstein, im Rahmen und wegen Hannß Rennharden von Neuhausen, seines ehelichen Sohnes am einem, und Veithen von Werdnau an statt und im Namen Jungfrau Margarethen, seiner ehelichen Tochter am andern Theil, sambt beiderseits nechst Verwandten, ein ehelicher Heirath abgeredt und folgendergestalt beschlossen ist:

Erstlich, daß genannte Hanns Rennhard von Neuhausen und Jungfrau Margarethen von Werdnau einander zum Sacrament der Ehe nehmen und haben, auch nach christlich hergebrachter Ordnung mit dem Kirchgang solch Sacrament öffentlich bestetigen, solann siren und als fromme Eheleuth einander in aller trew (Treu) Liebe und Freundschaft beywohnen, leben und halten sollen.

Am Andern, so soll Veyth von Werdnau gedachter seiner Tochter Jungfrau Margarethe zu rechter Ehe- und Heimsteuer geben sechzig und fünf Gulden mit 1300 Gulden wiederkäufig, daran sie auf unser Lieben Frauen Tag Lichtmeß des 1538te Jahres die Gült (den Zins) zum erstenmale empfahen sollen, (d. h. Veit von Werdnau sollte seiner Tochter eigentlich 1300 Gulden Heirathsgut geben, mußte ihr aber so lange, bis er die Sume von 1300 Gulden ihr und ihrem Gemahle wirklich erlegte, ihnen den jährlichen Zins mit 65 fl. geben) alles in Müntz genehmer und geber (gültiger) Landswehrung, in 60 Kreuzer für Ein Gulden geraith (gerechnet), und darüber nothdürftig, laufig und freihig (gültig) unter dem Adel, Güterverschreibung und Brieffe (Kapitalurkunden) auffrichten und ihnen zu Handen stellen. Gegen den (Kapitalbrief) hin wiederumb soll Rennhard von Neuhausen von wegen Hannsen Renhards, seines Ehelichen Sohnes, Jungfrau Margarethe seinem Gemahl (Gemahlin) ihr Zubringen mit 1300 Gulden Hauptgutts, davon sechzig und fünf Gulden jährlicher Gült (Zins) fallend, alles vorgemelter Wehrung, bemorgengaben (durch das seinem Sohne mitzugebende Heirathsgut gewährleisten), und umb solch ihr zugebracht Heyrath-Guth auch der Wiederlegung und Morgengab, sambt 20 Gulden jährlich für Beholzung und Behausung in Summa 3000 und 400 Gulden betreffen, verweisen, verfahren und versorgen, auf denselben 1300 fl. ihr zugebracht Heyrath-Guth und zu dem uf den 1000 fl. Hauptgueths sambt den 50 fl. jährlicher Gült vff denen von Hirnheimb gefallende, auch den 1000 fl. Hauptgueths snmbt den 50 fl. jährlicher Gült vff Herrn Hans Casparn von Bubenhofen Güttern, so jetzt Herr Dietrich Speth Innhaber ist, fallende, (dies und einige Posten, durch welche Rennhard von Neuhausen seines Sohnes und seiner Schwiegertochter Beibringen versichern soll) Inhalt (laut Inhalt) beeder Brieff solches während, mit dem sondern Anhange, was ahn obgemelter Summa den 3000 fl. und 400 fl. mit den gezeigten Gülten nit versichert, daß alldann gedachter Rennhard von Neuhausen von wegen seines Sohnes dasselb auf andern Gütern oder Gülten versichern soll, und also fürsehen, da so es zu Fällen komme, daß Sie von den 3000 und 400 fl. Ihren Zubringen Wiederlegung und Morgengab, sambt den 20 fl. für Behausung und Beholzung jedes Jahr wohl gehaben möcht, und so es sich zwischen den gemelten Eheleuthen nach Gotteswillen zu fällen (Todesfällen) begiebt, soll es damit nachfolgender Gestalt gehalten werden.

Stürbe Jungfrau Margarethe vor Hans Rennhard von Neuhausen Ihrem Gemahl und verließ (hinterließ) eines oder mehrere Kinder von ihr beiden Leiben ehelich geboren, so soll Hanns Rennhard von Neuhausen bei ihrem Zubringen, auch Wiederlegung und aller Hab‘ und Guth ein gleichen freien Beisitz haben sein Lebenlang, ohne verhindert der Kinder und Erben, dergleichen ob die vor ihm ohne Leibeserben stürben, soll er gleicher Weiß bei aller Haab ein ringen Beisitz haben sein Lebenlang; aber folgendts nach seinem Absterben sollen die 1300 Gulden Zubringen, auch anders ihr ererbt oder sonst angefallen Guth, sambt der 400 Gulden Morgengab, wo sie die in Zeit ihres Lebens nit vergabt oder verschafft (veräußert) hatt, wiederum hinter sich zurück ahn Jungfrau von Werdnau nechste Erben fallen; aber die Morgengab soll Jungfrau von Werdnau frey seyn im Leben oder am Todbett, zu welcher Zeit sie will, an freierwils (Schenkungen) oder Gottesgaben (Schenkungen an Klöster, Kirchen ec.) wem oder wohin sie will, Fremden oder Freunden zu verschenken, zu verschaffen, und zu vermachen, dahin sie auch in ihren nechsten Jahresfristen nach ihrem Abgehen geraicht werden soll, ohngehindert mäniglichs. Ob aber Hans Renhard von Neuhausen vor Jungfrau Margarethe seinem Gemahl (Gemahlin) Todts angehen und Leibeserben von ihren beeden mit verließ, soll ihr alsdann werden und verfolgen (verabfolgt werden) nemlich zum fürdersten ihr Zubringen, auch die Wiederlegung und Morgengab, dazu ihr Kleider, Kleinod, Geschmuck gebend, (Bandwaaren) und ohngefehrlich was zu ihrem Leib gehört, und zu dem der halbe Theil aller fahrenden Haab durchauß, sambt den 20 fl. für Holz und Behausung; außgenommen wo an Paarschaft mehr dann 200 fl. da were, ahn selbiger Uebertreffung (Ueberschuß) soll sie kein Theil haben, sondern allein an die 200 fl., und ob deß darunter were, den halben Theil empfahen, und sol sie auch nit keinerlei Schulden, die man ihme oder er zu thun were, nichts mit zu schaffen haben. So sich dann hernach fügte, daß gedachte Jungfrau Margarethe im Wittwenstand oder wiederum verheirath auch Todts verschiede, sollen die 1300 fl. Wiederlegung wiederumb hinter sich an Hannß Renhard von Neuhausen nächste Erben fallen; begebe sich aber, daß in Zeiten Hannßen Renhards von Neuhausen tödtlichen Abgang eheliche Kinder im Leben weren, dieweil (sofern) dann obgedachte Jungfrau von Werdnau ihren Wittwenstuhl nit verrucken (d. h. nicht wieder heirathen), soll sie in ihrer beeder aller Haab und Guth bleiben sitzen, daß alles nach ihr und der Kinder Ehren und Nutzen und guten Verwaltung, auch die Kinder davon ehrlich und mütterlich erziehen, mit dero beederseits Freundschaft Rath Wissen und Willen aussteuern und berathen, wie es ihrem Standt nach gebührt; doch alle Jahr von ihrer Verwaltung und Haushaltung der Kinder Freundschaften zu beiden Theilen, nemlich zween vom Vater und zween von Mutter, mag erbar Rechnung und Anzeig geben, zu beweisen, ob sich das Guth sich gemehrt, gemindert, oder wie es davon gestalt habe. Ob sich erfände, daß die Mutter in solcher Haushaltung den Kindern nit nützlich oder taglich, soll sie laut dieser Heyraths-Notel hindan gewiesen werden. Dergleichen ob die Mutter sich wiederumb verheirathen, oder selbs in solcher Verwaltung nit mehr sitzen bleiben wolle, alsdann soll ihr abermals verfolgen ihr zugebracht Heurathsguth, auch die Wiederlegung und Morgengab, und was ihr inzwischen angehalten, sambt ihren Kleinodern, Kleydern, Geschmuck und Gebändt, und was zu ihrem Leyb gehört, darzu der dritte Theil der fahrenden Haab und an den 200 fl. Paarschaft der halbe Theil sambt 20 fl. für Behausung und Beholzung, so die Veränderung in unverrücktem Wittweenstuhl geschehen ist. Auch sollen in allen Fällen solcher Theilung oder fahrenden Haab ausgeschlossen seyn, all reissige Pferdt (Reitpferde) Harnisch, auch was zu seinem Leib oder der Schloßwehre gehört.

Und ob nach des einen Ehegemahls Absterben folgendts im Ableben des andern Ehegemahls der Kinder eines oder mehrere abstürben, soll das bleibende Ehegemahl der Kinder keins zu erben haben, sondern soll nach dessen Absterben, es seyen Kinder dagewesen oder nit, jedes Guth, woher es kommen ist, wieder dahin fallen. Würde sich Jungfrau Margarethe nach Abgang Hansen Renhards wiederum verheirathen, soll ihr für Behausung und Beholzung nits mehr geraicht werden. Wann sie in nachgehendem einest oder mehrmalen bei ihm nachgehenden Ehewirthen auch eheliche Kinder gebohren, sollen alsdann nach ihrem tödtlichen Abgang die obbestimmten 1300 fl. Widerlegung von Hannßen Rennharden herrührend, den mit Hans Rennhard erbornen Kinder werden; aber die andere ihr 1300 fl. zugebracht Heyrathsguth, sambt was sie sonst verlassen wurd, soll auf die Kinder insgemein als recht natürlich Erbguth fallen, und einem deß so viel als dem andern werden. Und ist auch hierinn fürnehmblichen abgeredt, daß gedachte Jungfrau von Werdnau mit genugsamer Verwilligung ihres Gemahls Hannsen Rennhards von Neuhausen in Beywesenheit und sambt ihme vor dem Hofgericht zu Tüwingen oder andern Orten nach Gebrauch des Adels und Land Schwaben sich Vätter- Mütter- und Brüderlichs Erbs bis vff den letzt Bruder verziehen, (verzichten) dah vff den letzt Bruder soll ihr Erbgerechtigkeit vorbehalten seyn, Gefährd und Arglist hierin gäntzlich ausgeschlossen.

Dem allem zu wahrem Urkundt haben wir Rennhard von Neuhausen für uns selbs, und Ich Veit v. Werdnau für mich selbs und anstatt meiner Tochter, nachdem wir alle in dieß Heyrathsnotel gewilligt, dem allen getreulich nachzukommen versprochen, und derohalben unser angeboren aigen Innsiegel offentlich gehangt an diesen Brief (folgen die Zeugen) der geben ist Freytags nach Sanct Andreas des heyl. Zwölffboten Tags, nach Christi unsers lieben Herrn Geburth gezelt, fünfzehnhundert dreyssig und ein Jahr.


Die in der Urkunde erwähnte Verzichtleistung der Margarethe von Werdnau erfolgte aber erst im Jahr 1536.

Gegen ein halbes Jahrhundert saßen die Neuhausen auf Weißenstein; aber sie schienen bald von ihrem anfänglichen Wohlstande herabgekommen zu seyn; wenigstens läßt sich dies aus den vielfachen Veräußerungen schließen. Um nur einige der bedeutendsten zu erwähnen: Im Jahr 1552 verkaufte Rennhard von Neuhausen die Wassergerechtigkeit auf der Nagold an die Amtskellerei Pforzheim. Auch die durch die Familie Ehingen auf Weißenstein gebrachte peinliche Gerichtsbarkeit gieng durch Reinhard von Neuhausen verloren. Er verkaufte sie 1557 an Baden, und erhielt nur die niedere Gerichtsbarkeit (für kleinere Straffälle). Bald darauf starb er. Ludwig von Neuhausen besaß das Lehen, obgleich Erbe Reinhards nicht mehr, aber doch noch ansehnliche Einkünfte. Ums Jahr 1500*handschriftliche Korrektur: 1584 erhielt Martin v. Remchingen Schloß und Dorf Weißenstein; besaß es aber nicht lange; wenigstens nicht lange über das Jahr 1580. Er soll es, wie die Sage erzählt, an den Markgrafen von Baden verspielt haben.*Hier gibt es handschriftliche Ergänzungen, die für uns leider nicht entzifferbar sind

Weißenstein verschwindet allmählich aus der Geschichte. Ueber die Zerstörung ist nichts bekannt; darin stimmen jedoch alle Nachrichten überein, daß es nicht gewaltsam zerstört, sondern allmählig zerfallen sey. Dies mag ungefähr am Schlusse des 16ten oder Anfang des 17ten Jahrhunderts geschehen seyn.

eingefügte handschriftliche Ergänzung

Die Kaiserlichen in Pforzheim.

Erzählung aus dem Jahre 1643.
10.

(Schluß.)

Der Plan des Mönchs, die Pforzheimer durch Vertreibung ihrer protestantischen Geistlichen zum Abfall von der Augsburgischen Confession zu zwingen, war mißglückt. Die Bedrängniß in der freien Ausübung ihres väterlichen Glaubens hatte, wie es gewöhnlich zu geschehen pflegt, nur desto größere Anhänglichkeit an denselben erzeugt. Nur sehr wenige waren es, die von dem schweren Drucke der katholischen Priester und der in ihren Diensten stehenden kaiserlichen Truppen sich beugen, und ihre Kinder durch die katholischen Geistlichen in Pforzheim taufen ließen. Die meisten duldeten lieber alle Bedrückungen, trugen alle Mühseligkeiten, wenn nur ihre Kinder lutherisch getauft wurden. Stundenweit trugen sie die neugebornen Kinder in die umliegenden Orte, wo noch protestantische Geistliche waren. Mancher Umweg, manche List war nöthig, um dem scharfen Späherauge der katholischen Geistlichen zu entgehen, und ungehindert ihre fromme Pflicht zu erfüllen.

Eine solche Gesellschaft war es auch, die wir auf dem Wege zwischen Pforzheim und Birkenfeld zu begleiten haben. Sie war zahlreicher, als es sonst möglich war, und es war ihnen auch durch Verwendung des wahrhaft edlen Georg von Steinfels gelungen, ungehindert nach Birkenfeld gehen zu dürfen. Er selbst begleitete den Zug, wie er überhaupt während seines langen Aufenthaltes in Pforzheim Freud und Leid treulich mit seine Mitbürgern theilte. Außer ihm und dem Vater des Kindes, Mathias Meerwein waren noch dabei der zweite Bürgermeister Hans Beck, Katharine Erbach und Anna in tiefer Trauer gehüllt, die nur das äußere Bild ihrer Seelenschmerzes und Grames zu seyn schien. Die Gesellschaft zog schweigend vorwärts; eine Kindtaufe pflegt sonst eine erfreuliche und frohgefeierte Begebenheit zu seyn, aber dießmal gab sie nur Anlaß zu trüben Erinnerungen und Betrachtungen über eigenes und allgemeines Unglück.

Sie hatten eben die Höhe zwischen Brötzingen und Birkenfeld erreicht, als sie am nahegelegenen Wald einige Hellebarden im Glanze der Nachmittagssonne schimmern sahen. Gleich darauf erschallte vn dort her ein lautes "Halt." Es war eine Abtheilung der Garnison in Pforzheim, die eben von einem Steifzuge zurückkehrte. An Widerstand oder Flucht war nicht zu denken; es blieb ihnen nichts übrig, als geduldig ihr Schicksal zu erwarten. Sie standen stille.

Die Soldaten kamen heran. "Nieder mit den Ketzern!" rief mehrmals eine Stimme, und ohne mit ihren Bitten um Schonung gehört zu werden, wurden alle niedergeworfen, geplündert und fast aller Kleider beraubt. Das Kind wurde in den Graben geworfen.

Da nahte unerwartete Hülfe. Noch waren die meisten der Soldaten mit Vertheilung der Beute beschäftigt, als in geringer Entfernung auf der Straße eine Staubwolke sichtbar ward. Der Bedrängten angestrengter Hülferuf spornte die Reiter, es waren ihrer drei, zu größerer Eile an, sie vermutheten, was geschah. Als eine Aufforderung an die Soldaten, die Gefangenen frei zu lassen, mit Schmäh- und Drohworten zurückgewiesen ward, griffen die Reiter an. Obwohl ungleich geringer an Zahl, waren sie doch bald Sieger. Sie näherten sich, nachdem die Kaiserlichen ganz verjagt waren, den Gefangenen, um sie loszubinden. Die Gefangenen wollten ihren Rettern danken, aber die Worte des Dankes verhallten in dem Freuderuf der sich gegenseitig Erkennenden. Die drei Reiter waren Tischinger, Erbach und Asmund. Wir wagen es nicht, das Wiedersehen zu schildern. Katharine vergaß beim Anblick des geliebten Erbach alle Zweifel über seine Rechtgläubigkeit; Tischingers und Anna’s Wiedersehen trübte der Bericht über das traurige Ende ihres Vaters. Asmund schaute mit innigem Vergnügen auf sie, denn auch er hatte für sie das Seinige gethan.

11.

Eine ganz andere Stimmung herrschte im Schlosse zu Pforzheim. Dort saßen, finster, wie das Gemach, in dem sie sich befanden, Erlisheim und Ignazius. Letzterer war ganz verändert. Nicht mehr, wie sonst, kluge Vorsicht und Sorgfalt, seine schwarzen Plane zu verbergen, lag auf seinem Gesichte; das Mißlingen seiner Plane hatte seine Verstellungskunst geschwächt, und nur noch grimmige Rachsucht sprach aus seinen Zügen.

Beide waren in gleichem Grade ergrimmt über Tischingers Flucht, denn das blutige Opfer, das beide ihrer eigenen Rache bingen wollten, war ihnen entrissen, und der Tod Missels war ihnen kein Ersatz dafür.

Da meldete die Ordonnanz einen schwedischen Abgesanden. Er trat schweigend ein — es war Asmund — und überreichte dem Oberst einen gesiegelten Brief. Erlisheim erbrach ihn und las. Immer finsterer ward während des Lesens des etwas undeutlich geschriebenen Briefes. Seine Lippen zogen sich krampfhaft zusammen, seine Augen schienen Feuer zu sprühen.

"Tod und Hölle," schrie er, indem er wie rasend aufsprang und den Brief zu Boden warf, "das fehlte noch!" Und du unterstandest dich, mir damit unter die Augen zu treten? rief er mit einer aus Wuth zitternden Stimme Asmunden zu.

Das ist Eure Sache, erwiederte dieser ruhig. Ich bin nur für sichere Ueberlieferung des Schreibens, aber nicht für dessen Inhalt verantwortlich."

Der Mönch begriff die Scene nicht. Er sah, ohne ein Wort zu sprechen, bald den Oberst, bald mit sichtlicher Neugierde, den auf dem Boden liegenden Brief an.

"Ja, lies ihn und ergrimme!" schrie Erlisheim, der es bemerkte. "Er ist für dich!"

Der Mönch hob ihn auf und fieng an ihn zu lesen. "Laut! laut! ich muß ihn noch einmal hören!" rief Erlisheim, der Mönch las:

An den Oberst der kaiserlichen Besatzung in Pforzheim.

Er. Edeln haben sich angemaßt, ganz den bestehenden Verträgen zuwider, die evangelischen Seelsorger aus Pforzheim zu verjagen und die armen Einwohner mit Gewalt zu den Irrthümern der römischen Kirche zu zwingen. Ich ersuche Er. Edlen, dieselben ohne Verzug wieder zurückkehren zu lassen und ihnen die ungestörte Uebung ihres Glaubens zu gestatten; wo nicht, so sind Galgen und Stricke bereit, die hier und in der Umgegend befindlichen römisch-katholischen Geistlichen daran zu hängen. Darauf gebe ich Euch mein Wort.

Friedrich Moser,
Oberst bei den königlich schwedischen Truppen in Benfelden.

Den Eindruck, den dies Schreiben auf den Mönch machte, läßt sich nicht schildern. Das Blatt sank ihm aus der Hand, seine Hände ballten sich, die Lippen zitterten, die Augen wurden starr und traten weit aus ihren Höhlen heraus. Endlich fuhr er auf, hüllte sich in seine Kaputze, und mit einer schrecklichen Verwünschung eilte er hinaus aus dem Zimmer, fort aus Pforzheim. Man hat ihn nicht wieder gesehen.

12.

Für Pforzheim begann jetzt die Morgenröthe besserer Tage zu dämmern. Zwar blieb Erlisheim noch bis ins folgende Jahr in Pforzheim; zwar folgte noch manches harte Jahr bis zum endlichen Friedensschlusse; aber alles, was noch über sie kam, war unbedeutend im Vergleich mit dem, was sie bisher erduldete. Die evangelischen Geistlichen kehrten im August wirklich wieder nach Pforzheim zurück, und wenn auch die katholischen noch bis zum Jahre 1648 in Pforzheim blieben, so wagten sie es doch nicht, die evangelischen zu drücken.

Erbach versöhnte sich leicht völlig mit Katharina, und selbst der geringste Zweifel wurde aus ihrem Herzen verbannt, als er ihr erzählte, daß er, eines Zweikampfes wegen genöthigt, aus den schwedischen Truppen zu fliehen, unter die Kaiserlichen getreten; aber, nachdem er nun durch Verwendung Asmunds Verzeihung erlangt habe, wieder zu seinem ehemaligen Regimente zurückgekehrt sey. Er zog sich bald darauf vom Kriegsdienste zurück und erreichte ein hohes Alter.

Tischinger, den nur die Sehnsucht nach seinem Vater und Anna angetrieben hatte, sich verkleidet nach Pforzheim zu wagen, konnte erst nach Erlisheims Abzuge sicher dahin zurückkehren. Am Todestage Missels verband er sich mit Anna. Abergläubische Leute wollten hierin eine schlimme Vorbedeutung finden, aber das häusliche Glück, dessen beide so würdig waren, und das kleinere Unglücksfälle ausgenommen, wie sie im Leben nie fehlen, nie von ihnen wich, strafte diese Prophezeihung Lügen.

Die Namen Tischinger, Erbach und Missel sind längst vergessen, aber aus der verhängnißvollen Zeit, in der sie lebten, hat sich noch manche Sage erhalten, und wenn der Leser an dem kleinen Bilde, was wir aus jener Zeit ihm vorführten, einigermaßen sich vergnügt hat, so ist unser Zweck erreicht.



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