Ausschnitt aus
Chronik von Dillweissenstein Pforzheim 1927
"Belrem von Weißenstein", oder "Die Hochzeit von Tübingen"
von Georg August Lotthammer 1835 redigiert,
von Oskar Webel nacherzählt in:
Chronik von Dillweissenstein Pforzheim 1927
"Wer von einem der Berge, welche das Dörfchen Weißenstein einschließen, herabsieht auf das stille Tal, der möchte kaum glauben, daß einst in dieser kleinen, von Bergen umgebenen Welt ein regeres Leben, ein Getöse von Menschenstimmen und Waffenklängen die Luft erfüllt habe. Da, wo die Trümmer einer längst vergangenen Zeit uns gewaltig die Vergänglichkeit alles Irdischen predigen, da standen einst in voller Blüte Burgen und Türme roher, aber kräftiger Bauart, wie die Menschen, welche sie aufführten. Die Bewohner dieser Burgen nannten sich die Herren von Wyzzenstein. Über die Erbauung der drei Burgen, die jetzt noch im Munde des Volkes Hoheneck, Rabeneck und Kräheneck heißen, schweigt die Geschichte gänzlich; erst im 13. Jahrhundert sind von ihnen Daten überliefert, welche wir zum Gegenstand unserer Erzählung genommen haben.
Es war um das Jahr 1230, als der junge Belrem, Herr zu Weißenstein, aus dem heiligen Lande zurückkam, in das er mit Kaiser Friedrich II. gezogen war. Sein Vater war während seiner Abwesenheit gestorben, und er, als der einzige Erbe, hatte nun den Besitz von Weißenstein genommen. Der Orient hatte aber in Belrem eine auffallende Veränderung bewirkt. Kühn und feurig, voll von Plänen für die Zukunft und edlem Ehrgeiz, hatte er sich den Kreuzfahrern angeschlossen, um das Land, auf dem einst unser Erlöser sichtbarlieh gewandelt, den Sarazenen wieder entreißen zu helfen. Düster, lebenssatt, in sich verschlossen, war er zurückgekehrt. Beinahe hätten ihn die Seinen nicht mehr erkannt. Seine Züge waren älter geworden als seine Jahre. Alle Wünsche nach Lebensgenuss schienen in Palästina entschlummert zu sein. Einsam, mit sich selbst zerfallen, schien er oft in dumpfem Hinbrüten mit sich selbst einen Kampf zu kämpfen, der manchmal still vorüberging, manchmal in laute Wutanfälle ausbrach. In solchen finsteren Stunden hatte er Niemand, der ihn zu besänftigen vermochte, als seinen treuen Lehrer, den ehrwürdigen frommen Vater Ambrosius. Dieser dämpfte die furchtbare Leidenschaft in der Brust des jungen Ritters, obgleich er nie eine Spur über die Ursache der Anfälle Belrems entdecken konnte. Des Ritters einzige Beschäftigung war die Jagd. Man konnte indes nicht sagen, ob sie ihm wirklich Vergnügen gewähre, denn er kam meist mit verstörten Zügen nach Hause.
So waren einige Monate nach Belrems Rückkehr aus Palästina vergangen, als eines Tages ein Bote in den Burghof zu Weißenstein eingeritten kam, gesandt vom alten Pfalzgrafen Wilhelm zu Tübingen. Der Bote war ein Hochzeitbitter, der ihn einlud, in seines verstorbenen Vaters Namen in Tübingen der Hochzeit Kuno's von Menzenberg mit Wilhelms Tochter Adelheide beizuwohnen.
Der Tag der Hochzeit kam heran und Belrem zog mit einem Gefolge aus seiner Burg hinüber in das Würrntal und von da auf die Heerstraße, die nach Tübingen führte. Ambrosius soll ihm noch vorher insgeheim die Worte in das Ohr geflüstert haben, wenn er heute das Schwert nicht ziehe, so würden bessere Tage für ihn kommen. Belrem habe hierauf das Haupt verneinend geschüttelt und sei davon gesprengt.
In dem Schlosse zu Tübingen ging es fröhlicher zu, als in den traurigen Mauern von Weißenstein. Der schönste Schmuck von Rittern und Frauen war im Saale zu Hohentübingen versammelt und die Anwesenden wetteiferten darin, den Anderen in der Fröhlichkeit zu überbieten. Der Reigen hatte begonnen, Trinksprüche, auf das Wohl der Brautleute ausgebracht, erhöhten die Freude. Sänger meldeten in Liedern den Rittern und Frauen die Geschichte einer altersgrauen Zeit, sangen von Riesen und Helden, von Schlachten und Kriegen. Nur auf Belrem machte dieser Frohsinn keinen Eindruck. Er saß in einer Ecke mit Konrad von Vaihingen, einem Manne, der ganz für Belrems finstere Seele geschaffen zu sein schien. Die gleiche Gemütsart hatte sie zu Freunden gemacht. Beide erfüllte derselbe Menschenhaß, nur daß Belrem sich selbst noch mehr zu hassen schien. Konrad war von riesenhaftem Körperbau; wenn er den Mund zum sprechen öffnete, so verzog sich sein Antlitz in widerliche Falten, die noch durch das grimmige Funkeln seines einzigen Auges (des anderen hatte ihn ein Steinwurf beraubt), noch häßlicher wurden und wenn es wahr ist, was man im Geheimen über Konrad flüsterte, so war der Beiname, den ihm die Leute gegeben, nicht ganz unpassend. Man nannte ihn nur den "Wehrwolf", wegen der Eigenschaften, die er mit jenem fabelhaften Tiere gemein gehabt haben sollte.
Diese Beiden saßen zusammen und Konrad ermangelte nicht, den Wein, welchem er schon beträchtlich zugesprochen, Belrem anzupreisen. Sie tranken oft und in langen Zügen und je mehr Belrem trank, desto. mehr glaubte er, den bösen Geist, der seine Seele folterte, zu verscheuchen. Da näherte sich der alte Pfalzgraf Wilhelm Belrem mit jener herzlichen Freude, die das Alter so schön zeichnet, und redete den Weißensteiner an: "Ich bringe Euch gute Mähr, Vetter, Ihr sollt heute einen Kriegsgefährten zu sehen bekommen, der zurückgekommen ist aus dem Morgenlande. Es ist -".
In diesem Augenblick traten zwei fremde Gestalten' in den Saal. Es war ein Jüngling, der ein Mädchen von seltsamer Tracht an der Hand führte. Sie war eine von jenen üppigen Töchtern des Morgenlandes, die in dem kleinsten Zuge ihre asiatische Herkunft beurkunden. Ihr hoher, schlanker Wuchs, die Fülle rabenschwarzer Haare unter dem weißen Turban, ihr schwarzes, schwärmerisches Auge, das gegen die etwas bleichen Wangen auffallend abstach, die ausdrucksvollen Züge, das orientale Gewand, alles dies erinnerte an jene Feentöchter, die uns die Märchen in Tausend und einer Nacht so lieblich schildern. Sie sprach nur wenig deutsch, aber aus ihrem lebhaften Gebärdenspiel konnte man jeden Gedanken erraten. In Rom war Zuleima zur christlichen Kirche übergetreten und nun wollte Vollbert von Poltringen seinen alten Vater um seinen Segen bitten. Ritter und Frauen begrüßten herzlich die Neuangekommenen und Kuno von Menzenberg mit seiner Braut Adelheide konnten vor Freude über die unerwarteten Gäste kaum Worte finden. Am schönsten malte sich die Freude auf des alten Pfalzgrafen Antlitz. Bald schaute er sie an und drückte ihnen die Hand, bald ruhte sein Auge mit dem äußersten Wohlgefallen auf den beiden schönen Gestalten.
Einen gräßlichen Gegensatz zu dem allgemeinen Jubel bildete Belrem. Sein hochrotes, vom Wein erhitztes Antlitz hatte beim Anblick der Fremden sich in Leichenblässe verwandelt. Ein Fieberfrost lieh ihn erschauern, seine Zähne schlugen aufeinander und als er sich bemühte, aufzustehen, sank er wie gelähmt auf seinen Sitz zurück.
Sein Auge stierte tot und glanzlos auf einen Punkt in der Luft und über sein Antlitz liefen einige kalte Schweißtropfen herab.
Jedoch hatte ihn keiner der Ritter beobachtet, außer Konrad, der ihn aus dem Saale zu bringen suchte, aber Belrem war leblos wie ein Stein. In diesem Augenblick führte der Pfalzgraf Vollbert und Zuleima gegen das untere Ende des Saales, wo Belrem und Konrad saßen, "ich will dir einen Bekannten zeigen, Vollbert 1 He, Weißensteiner, kennt Ihr den Ritter da?"
Zuleima war mit bebenden Schritten genaht, als ahnte sie keine freudige Bekanntschaft; plötzlich aber stieß sie einen durchdringenden Schrei des Entsetzens aus und sank leblos an Vollberts Seite nieder. "Laßt sie liegen", rief dieser den Frauen zu, die sie ins Leben zurück- zubringen sich bemühten. "Dies ist dein Werk, Belrem von Weißenstein, aber sie wird wieder erwachen; hat ja doch uns Beiden im heiligen Land dein Gift nichts getan. Du wirst mir jetzt in Europa Rechenschaft stehen, die du in Asien mir verweigert hast". Aber Belrem hörte von all' dem nichts, er war wie tot, nur die Schweißtropfen auf der Stirn bezeugten, daß er noch lebe.
Als hätte plötzlich die ganze Versammlung der Donner gerührt, so standen alle Gäste umher, keiner sprach ein Wort, es war eine Totenstille in dem Saale. Aber Vollbert fuhr fort, nachdem er eine Weile Belrem in stiller Wut angeschaut hatte: "Zuleima wird wieder erwachen, wenn dieser Bube da aus ihrer Nähe verschwunden ist. Deine Schandtaten aber will ich offenkundig machen, solange meine Zunge sich noch bewegen kann".
Da schwollen die Adern auf des Vaihingers Stirne, und sein glühendes Gesicht färbte sich blau vor Wut. Er sprang mit einem fürchterlichen Fluche von seinem Sitze auf: "Du wagst es, Bube, einem Ritter wegen einer fremden, verlaufenen Dirne die Ehre zu rauben?" Beide zogen augenblicklich die Schwerter, ein kurzes Gefecht entstand, in welchem Konrad eine leichte Wunde erhielt.
"Sie haben den Burgfrieden gebrochen, reißt sie auseinander", schrie der alte Pfalzgraf. Sogleich wurden die Beiden voneinander getrennt. Der Vaihinger riß Belrem, der noch immer unbeweglich dasaß, mit sich zum Saale hinaus, und Beide verließen sogleich mit ihrem Gefolge das Schloß.
Die Freude der Gäste war durch diesen Auftritt gewaltsam unterbrochen worden, und es dauerte geraume Zeit, bis der Eindruck der störenden Begebenheit sich verwischt hatte. Die Frauen zogen sich gegen Abend in ihre Gemächer zurück oder verließen das Schloß; die Ritter aber zechten noch bis zum folgenden Morgen. Vollbert und Zuleima wollten, von einem einzigen Knappen begleitet. noch vor Mitternacht das Schloß verlassen.
Es war eine sternenhelle Sommernacht. In dem schönen Tale bei Tübingen, das von einem kleinen Flusse den Namen Ammertal führt, sah man zwei Reiter auf fliegenden Rossen dahineilen. Es waren Belrem und Konrad, der Wehrwolf. Sie hatten ihr Gefolge heimgeschickt, gleichsam als ob sie eine Tat vollbringen wollten, bei der kein Zeuge anwesend sein durfte. Beide waren durch Trunk und Wut außer sich. Bald lag das weite Tal hinter ihnen, als sie still hielten und von ihren Rossen stiegen. Am Abhang eines Hügels, nicht weit von der Straße, lagerten sie sich. Es war eine Totenstille; die Mitternacht rückte immer näher heran. Endlich unterbrach der Vaihinger das Stillschweigen.
"Die Geschichte mit der Dirne scheint mir sonderbar," begann er grollend; "wie trafet Ihr im Morgenland mit dem Mädchen zusammen?
"Die Geschichte ist kurz", sprach Belrem mit verhaltenem Ingrimm und begann dann nach einer Weile in abgebrochenen Sätzen zu erzählen: "Wir lagen vor Jerusalem. Der Kaiser wollte den Sultan zu einem Waffenstillstand zwingen. Der Poltringer und ich waren viel beisammen, ich kannte ihn von Jugend auf. Bei der Hölle. Ich habe ihn geliebt wie einen Bruder. Da erzählte er mir einst, eine Heidin sei gefangen worden, und kaum hätte er es vermocht, sie vor Mißhandlungen zu schützen. Ihr Vater und ihre Brüder seien in dem Gefechte gefallen und sie habe nichts von ihm gebeten, als den Tod. Unversehrt habe er sie wieder zurückgeschickt, nachdem er ihr die Rose, welche er auf seinem Helm getragen, zurückgelassen.
"Es war Mitternacht" fuhr Belrem fort, "und ich hielt am äußersten Platze des Lagers allein Wache. Da zeigte sich mir im Mondschein eine weibliche Gestalt, die sich mir näherte. Plötzlich stand sie vor mir,"
Hier hielt Belrem inne, als ob ein Schauer ihn durchrieselte. "Sie war es, die ihr gesehen. Mein Atem stockte und es schwindelte mir. Sie redete mich an in einer Sprache, die ich nicht verstand. Da zeigte sie mir eine Rose, es war des Poltringers Abzeichen. Nun verstand ich, daß sie ihn sprechen wollte. Aber ich konnte diesen Gedanken nicht ertragen. "Du sollst mein werden", schwur ich "und wenn es mich mein Leben kosten sollte".
Ich täuschte sie daher und führte sie zu einer Jüdin, die sie bewachte. Sie weinte viel; meine rasende liebe rührte sie nicht. Ich bat, ich fluchte und drohte, umsonst. Sie haßte mich. Tod und Verderben! Eines Morgens war sie verschwunden. Sie hatte die Jüdin überwältigt und war geraden Wegs in des Kaisers Zelt geflohen, mich anzuklagen. Es kam zum Zweikampf, in dem mich Vollbert stark verwundete. Die Erzählung ist zu Ende. Ich gab der Jüdin nebst meinem Gelde noch den geheimen Auftrag, die Beiden zu vergiften, und ergriff, trotz meiner Wunde, die Flucht. Ehe ich das Schiff bestieg, erfuhr ich, daß das Gift seine Wirkung getan habe. Ein finsterer Geist kam über mich, ich trauerte um die Beiden - und heute sah ich sie lebendig
"Helfe mir der Böse 1 Ich mag nimmer leben nach dieser Schmach. Aber Rache will ich nehmen. Sie müssen sterben!" Ein Fluch besiegelte das furchtbare Wort. - "Und ich habe auch eine Schuld abzutragen", sprach höhnisch der Vaihinger, "und will's getreulich vergelten Sie können nicht mehr lange ausbleiben, um Mitternacht wollten Sie das Schloß verlassen".
Unterdessen hatte sich eine düstere schwarze Wolke vom Gebirge herüber in des Tal gezogen und hatte den ganzen Himmel umhüllt. In der Ferne hörte man schon den Donner rollen; immer dunkler und nächtiger würde das Tal. Man vernahm schon starke Donnerschläge. Belrem und Konrad näherten sich der Straße gleich dem Tiger, der auf seine Beute lauert. "Horch", rief Belrem, "ich höre Hufschlag". "Hörst du seine Stimme? er schmeichelt der Dirne", flüsterte der Wehrwolf tückisch. Der Donner rollte immer fürchterlicher. Ein Blitzstrahl fiel auf die gezogenen Schwerter. "Halt ! Schurke", schrie der Vaihinger und beide stürzten aus ihrem Hinterhalt hervor. Furchtbarer Donner übertäubte das wütende Gefecht, ein zermalmender Blitz und ein furchtbarer Schlag folgten. Dann war tiefe Stille. Die Ritter waren verschwunden.
Das Erwachen des zum Tode verurteilten Verbrechers am letzten Morgen kann nicht furchtbarer sein, als das Erwachen Belrems nach der fürchterlichen Nacht. Entsetzliche Träume hatten ihn im Schlafe gefoltert, jetzt marterten ihn die furchtbarsten Gewissensbisse. Seine Burg war ihm zu eng und doch mochte er nicht hinaustreten ins Freie. Die Einsamkeit quälte ihn und doch floh er die Menschen. Er versuchte zu beten, aber er konnte seine Gedanken nicht erheben gen Himmel. Da fielen ihm die Worte des Vater Ambrosius ein. Er raufte sich die Haare, erschlug sich mit Fäusten und verfluchte den Tag seiner Geburt. Gegen Mittag war er aus Weißenstein verschwunden. Einen Knappen hatte er noch vorher zu Konrad von Vaihingen geschickt mit allen Schätzen, die er auf seiner Burg hatte, mit dem Auftrage, der Wehrwolf möge ein Kloster damit stiften. Durch ebendenselben Diener ließ er dem Vater Ambrosius sagen, er möchte für seine Seele beten und während seiner Abwesenheit als Burgvogt Weißenstein schirmen.
Der Vaihinger erbaute noch kurz vor seinem Tode mit Belrems und seiner eigenen Stiftung das Kloster Reichertshofen. Ihn ereilte die Rache bald. Einer seiner Knechte, dessen Vater er erschlagen, erstach ihn hinterrücks. Der Wehrwolf liegt in Reichertshofen begraben.
Unsere Geschichte macht nun einen Sprung von etwa zwanzig Jahren. Während dieser Zeit hatte sich Vieles geändert.
Die Burg Belrems war unterdessen von den Freunden des ermordeten Vollberts erstürmt und zum Teil zerstört worden. Ambrosius konnte sie erst nach vielen Jahren in den vorigen Stand versetzen. Kaiser Friedrich. war indessen gestorben. Man sagte, dieses Ereignis hätte Belrem bewogen, wieder in seine Heimat zurückzukehren. Er solle lange Zeit zu Rom als Laienbruder in einem Benediktinerkloster Buße getan haben. Nach Verlauf von zwanzig Jahren erschien er wieder auf der Burg seiner Väter mit einer Gemahlin und zwei Kindern, Belrem und Berthold. Aber auch die elterlichen Freuden konnten seinen nagenden Kummer nicht austilgen. Er war fünfzig Jahre alt. Seine Haare und der Bart waren ergraut; nur sein Gram war jung geblieben. Wie früher lebte er meistens allein. In seinen finsteren Stunden wütete er furchtbarer als in früheren Jahren und selbst der achzigjährige Ambrosius konnte ihn nicht mehr besänftigen.
Einst, so melden die Chronikschreiber jener Zeit, sei, als Belrems Gemahlin mit ihren zwei Knaben um Mitternacht knieend am Bette des sterbenden Ambrosius gebetet hatten, ein wahnsinniges Weib in seltener Tracht, das rabenschwarze Haar aufgelöst, geisterblassen Angesichts und mit wildem Auge in der Burg Weißenstein erschienen. Es war Zuleima.
Sie war lange an einer schweren Wunde darniedergelegen, wurde zwar am Körper gesund, der Geist aber erkrankte auf immer. Mit Blitzesschnelle sei sie die Wendeltreppe hinaufgestiegen zum Turme, von wo Belrem in dumpfer Verzweiflung hinausgeschaut habe in die Nacht. Da sei das Weib vor Belrem hingetreten und hätte ihm einige Worte in das Ohr geflüstert, worauf sie schnell verschwunden sei. Die Mutter und die Kinder am Sterbebette des Vaters Ambrosius hatten gleich darauf einen dumpfen Fall vernommen, verbunden mit dem Röcheln eines Sterbenden. Es war Belrem. er hatte sich von der Zinne der Burg herabgestürzt in den Schloßhof. Das Gerücht ging aber lange im Tale, Belrem sei nicht begraben worden, sondern der Teufel habe ihn um Mitternacht vom Turme herabgeschleudert, ihn in Stücke zerrissen und die Teile in alle vier Winde zerstreut. Zuleima soll an einem Tage mit Belrems Gemahlin, bald nach Belrems Tod, gestorben sein. Belrems Söhne blieben ehelos und wurden im Kloster Maulbronn, dem sie die meisten Güter vermacht, begraben.
Noch jetzt will der Landmann in den Ruinen des traurigen Schlosses Weißenstein um Mitternacht klagende Töne einer Menschenstimme vernehmen und schon öfters soll eine hohe Gestalt im Dunkeln des Burghofes erblickt worden sein."